Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
hob die Hände. »Schieß los.«
»Wie hast du vor, deine Jacke zuzuknöpfen?«
Ich riss mir beide Handschuhe herunter und warf sie nach ihr.
Zum zweiten Mal in dieser Woche fuhr ich auf den kostenpflichtigen Parkplatz im historischen Viertel. Der Himmel war metallisch grau, die Luft schwer von drohendem Schnee.
»Pack dich ein«, sagte ich zu Anne und zog den Reißverschluss meines Parkas hoch.
»Wo gehen wir hin?«
»Hôtel de Ville.«
»Willst du ein Zimmer buchen?« Gedämpft durch den Angoraschal.
»Das ist das Rathaus. Es sind vier Blocks zu Fuß.«
Gelegen an der Spitze der Place Jacques-Cartier, ist das Rathaus der Stadt eine viktorianische Extravaganz in Kupfer und Stein. Es wurde zwischen 1872 und 1876 erbaut und vermittelt den Eindruck, als hätte der Architekt nicht so recht gewusst, wann er aufhören sollte. Mansardendach? Très Parisien, Säulen? Natürlich. Arkaden? Bien sûr. Dachgesimse, Gaubenfenster, Balkone, Kuppelgewölbe, Uhr? Ja. Ja. Ja. Ja. Und ja.
Trotz der Verwüstungen durch ein Feuer im Jahr 1922 blieb das Hôtel de Ville von der Bausubstanz her intakt, es wurde renoviert und ist heute ein Anziehungspunkt für Einheimische und Besucher, eins der charmantesten Wahrzeichen der Stadt.
»Mit dem Rathaus von Clover ist das nicht zu verwechseln«, sagte Anne, als wir die Treppe hinaufstiegen.
Ich deutete zu einem Balkon über dem Portal. »Siehst du den?«
Anne nickte.
»Von diesem Balkon aus hielt Charles de Gaulle seine berühmte oder berüchtigte Vive le Québec libre -Ansprache.«
»Wann?«
»Siebenundsechzig.«
»Und?«
»Die Separatisten waren begeistert.«
Trotz seines modernen Status als Touristenattraktion ist das Hôtel de Ville noch immer das wichtigste Verwaltungszentrum der Stadt. Und Aufbewahrungsort der Informationen, die ich suchte. Hoffte ich zumindest.
Als Anne und ich eintraten, stach uns der Geruch von Heizkörperwärme und feuchter Wolle in die Nase. Am anderen Ende des Foyers bot ein Kiosk Renseignements an. Informationen.
Eine Frau hob den Kopf, als wir zu ihr kamen. Sie war um die zwanzig, mit hochtoupierten blonden Haaren, die sie um einige Zentimeter größer machten.
Die Frau unterdrückte ein Gähnen, als ich erklärte, was ich suchte. Bevor ich ausgeredet hatte, zeigte sie auf eine Wandtafel, auf der die einzelnen Dienststellen und ihre Standorte verzeichnet waren. An ihrem knochigen Arm klapperten Plastikarmbänder.
» Accès Montréal « , sagte sie.
» Merci « , sagte ich.
»Ich denke, sie hätte noch weniger interessiert sein können«, sagte Anne, als sie hinter mir her zu der Schautafel ging. »Aber nicht ohne eine kräftige Dosis Lithium.«
In der Dienststelle Accès Montréal trafen wir auf eine ältere, schwerere und deutlich freundlichere Version von Ms. Information. Die Frau begrüßte uns auf typisch Montrealer Franglais.
» Bonjour. Hi.«
Ich erklärte ihr auf Französisch, was ich wollte.
Die Frau nahm ihre Brille ab und ließ sie an einer Kette auf ihren Busen sinken.
»Wenn Sie eine Adresse haben, kann ich Ihnen die Kataster- und die Grundstücksnummer heraussuchen.«
Anscheinend machte ich eine verwirrte Miene.
»Die Katasternummer benennt die Landparzelle. Die wichtigere ist die Grundstücksnummer. Mit der können Sie im Registre Foncier du Québec im Bureau d’Enregistrement die Geschichte des Anwesens recherchieren.«
»Befindet sich das hier?«
»Palais de Justice. Zweiter Stock. Zimmer 2.175.«
Ich schrieb die Adresse des Hauses mit der Pizzabude auf und reichte ihr den Zettel über die Theke.
»Sollte nicht lange dauern.«
Dauerte es auch nicht. Nach zehn Minuten kehrte die Frau mit den Nummern zurück. Ich dankte ihr, und Anne und ich machten uns auf den Weg.
Die drei Gerichtsgebäude Montreals liegen knapp westlich des Rathauses. Während wir über die Rue Notre-Dame hasteten, sondierte Anne jedes Galerie-, Café- und Boutiquenschaufenster. Sie blieb kurz stehen, um ein Pferd zu streicheln, schwärmte über die Schönheit des Château Ramezay, lachte über Autos, die Räumfahrzeuge unter Schnee begraben hatten.
Architektonisch haben das Rathaus und das moderne Gerichtsgebäude wenig gemein, außer der Tatsache, dass beides Häuser sind. Über den Charme des Letzteren ließ Anne sich nicht aus.
Vor dem Eintreten zog ich mein Handy heraus und probierte noch einmal die Nummer von Mrs. Gallant/Ballant/Talent.
Nichts.
Wie am Tag meiner Zeugenaussage herrschte im Gerichtsgebäude auch diesmal wieder
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