Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Zettel und bat sie, mich nach dem Aufstehen anzurufen. Den Anruf erwartete ich nicht vor Mittag.
Als ich aus der Garage fuhr, war ich geblendet. Der Himmel war makellos, die Sonne funkelte auf dem Schnee des Wochenendes.
Montreals Schneepflug-Armada hatte wieder einmal die Oberhand behalten. Alle Straßen in Centre-ville waren frei. Weiter östlich waren die meisten Seitenstraßen passierbar, allerdings gesäumt von Fahrzeugen, die bis zu den Dächern im Schnee steckten. Die Autos sahen aus wie Flusspferde in gefrorenen Milchströmen.
Hier und da fuhr ich an frustrierten Pendlern vorbei, die ihre Autos freischaufelten und deren Atem die Auspuffschwaden ihrer halb versunkenen Fahrzeuge vorwegnahm.
Die Nebenstraßen in der Umgebung des Instituts boten keine Parkmöglichkeiten, deshalb stellte ich mein Auto auf dem kostenpflichtigen Parkplatz am Wilfrid-Derome ab. Zwischen Schneeverwehungen hindurch und um einen kleinen Bürgersteig-Schneepflug herum, dessen bernsteinfarbenes Signallicht durch die kristalline Luft pulsierte, bahnte ich mir einen Weg zum Hintereingang des Gebäudes.
Meine Schritte klangen scharf und knirschend. Irgendwo in der Entfernung weckten Abschleppwagen die Anwohner mit ihrem hirnmarternden Zweiton-Piepsen. Raus aus den Federn! Kommt in die Gänge! Fahrt eure Autos weg!
Die erste Überraschung des Tages schlenderte in mein Büro, als ich nach dem Hörer griff, um meine Mailbox abzuhören.
Michel Charbonneau ist ein kräftiger Mann, dessen Größe auch mit dem Alter nicht abnimmt. Sein Stiernacken, das fleischige Gesicht und die Stachelfrisur geben ihm das Aussehen eines unter Strom stehenden Football-Stürmers.
Im Gegensatz zu Claudel, der Designer-Seide und -Wolle bevorzugt, geht Charbonneaus Geschmack eher in Richtung Polyester und Sonderangebote. An diesem Tag trug er ein stumpf orangefarbenes Hemd, eine schwarze Hose und eine Krawatte, die aussah wie eine Straßenschlacht am Südende des Farbkreises. Sein Sakko hatte ein unvorteilhaftes braun-gelbliches Karo.
Charbonneau ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte sich den Mantel über die Beine. Mir fiel eine Abschürfung an der linken Wange auf.
Charbonneau fiel auf, dass es mir auffiel.
»Sie sollten den anderen Kerl sehen.«
Er grinste.
Ich nicht.
»’tschuldigung, dass ich nicht zurückgerufen habe. Aber Claudel und ich wurden in letzter Minute an die Drogenjungs ausgeliehen, und am Freitag stieg dann die große Verhaftung. Sie haben wahrscheinlich davon gelesen.«
»Nein, ich habe noch gar keine Nachrichten mitbekommen.« Anne und ich hatten an diesem Wochenende auf jede Form von Berichterstattung verzichtet und uns stattdessen mit Videos und alten Filmen auf dem Kinokanal die Zeit vertrieben.
»Eine Sondereinheit hatte die Sache schon seit Monaten im Visier.«
Ich ließ ihn weitererzählen.
»Einige Pharmazie-Manager haben Pseudoephedrine unter der Hand verscherbelt. Das Zeug wird bei der Herstellung von Methamphetaminen gebraucht. Der Stoff wurde in Quebec und Ontario gelagert und dann in ganz Kanada und bis hinein in die Vereinigten Staaten verteilt.«
Charbonneau beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und ließ die Hände baumeln.
»Diese Mistkerle versorgten Drogenlabore von Halifax bis Houston. Am Freitag haben wir dreiundvierzig eingelocht, am Samstag noch mal elf. Da dürften bei einer Menge Anwälte inzwischen Honorarvorschüsse eingehen.«
»War Andrew Ryan auch an der Aktion beteiligt?«
»Auch wenn er bei der SQ ist, der Kerl hat das Zeug zur Legende.«
Das Verhältnis zwischen SQ und CUM ist nicht viel freundschaftlicher als das zwischen Palästinensern und Israelis.
»Warum eigentlich?« Ich hatte einen Stift zur Hand genommen und malte Quadrate in Quadraten.
»Am Samstagmorgen hätte man ihm beinahe das Licht ausgeknipst, okay? Am selben Abend sehe ich ihn cool wie ein Eiszapfen mit einem Mädchen im Schlepptau, das halb so alt ist wie er.« Charbonneau lehnte sich zurück und malte mit den Händen eine Acht in die Luft. »Sehr wenig Spandex, sehr viel Haut. Ryan ist, was, fünfundvierzig? Siebenundvierzig? Die Kleine hat erst vorgestern ihre Zahnspange abgelegt.«
Ich unterteilte ein Quadrat. Desinteressiert.
»Die Senorita bleibt dran, also schätze ich, der Kerl hat noch, was man braucht.«
Ryan und ich waren diskret gewesen. Mehr als diskret. Charbonneau konnte unmöglich wissen, dass wir etwas miteinander gehabt hatten.
»Bleibt dran?« Beiläufig.
Charbonneau zuckte
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