Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Umriss.
Mousseau drehte die Knöpfe um. »Schau dir die Initialen neben der Öse an.«
Der Unterschied war sogar für einen Amateur offensichtlich. Christie hatte die Buchstaben mit glatten, flüssigen Bewegungen eingraviert. Auf der Fälschung bestand das S nur aus einer Reihe sich kreuzender Schnitte.
Ich war verwirrt und etwas überrascht.
Aber nicht so überrascht, wie ich es am Montagmorgen sein würde.
16
Meine Wohnung liegt im Erdgeschoss eines vierstöckigen Gebäudes, das einen Innenhof umschließt. Zwei Schlafzimmer. Zwei Bäder. Wohn- und Esszimmer. Eine kleine Küche. Diele.
Vom langen Gang zwischen der Wohnungstür und dem Esszimmer führt, direkt gegenüber der Küche, eine Glastür auf eine Veranda, die an den zentralen Innenhof anschließt. Vom Wohnzimmer aus führt eine weitere Glastür auf ein winziges Stück Rasen.
Im Sommer ziehe ich Kräuter am Rasenrand. Im Winter sehe ich zu, wie der Schnee sich auf den Spitzen des Rotholzzauns und auf den Ästen der Kiefern in meinem Gärtchen sammelt. Fünf Quadratmeter. Eine gigantische Grünfläche für eine Innenstadtwohnung.
An diesem Abend löste diese kleine, dunkle Fläche in mir Gefühle des Ausgesetztseins und der Verletzlichkeit aus. Da half es auch nicht, dass der Streifenwagen, den Ryan angefordert hatte, häufig vorbeifuhr. Seine provisorische Reparatur der Tür erinnerte mich beständig an meinen ungebetenen Besucher und den Weg, den er gewählt hatte. Hätte er nicht auch noch andere Möglichkeiten gehabt? Ich musste gestehen, dass Annes Anwesenheit mir ein Trost war.
Nach einem schnellen Abendessen, das wir vom Thailänder mitgebracht hatten, putzten Anne und ich. Wut rumorte in mir, während ich wischte und saugte.
Wieder schlief ich mit einem Chaos von Gedanken ein.
War irgendein zugedröhnter Junkie in mein Allerheiligstes eingedrungen? Das schien das Wahrscheinlichste. Jemand, der verzweifelt nach Geld für den nächsten Schuss suchte und zum Vandalen wurde, als er keins fand. Kein gewöhnlicher Einbrecher hätte sich dermaßen aufgeführt. Aber was war mit einem Einschüchterungs-Szenario? Irgendein kleiner Gauner mit dem Auftrag, mich von lange versteckten Mafia-Geheimnissen abzulenken, der mir die Botschaft hinterließ: »Wir wissen, wo du wohnst.« Oder war es ein bösartiger Soziopath, der meinte, mit mir noch eine Rechnung offen zu haben?
Was hatten diese Knöpfe zu bedeuten?
Warum hatten Claudel oder Charbonneau nicht zurückgerufen?
Wo war Ryan? Warum hatte er nicht angerufen?
Machte mir das was aus? Natürlich.
Am Samstagvormittag unternahm Anne einen Ausflug ins Le Faubourg, während ich mit dem Glaser zu tun hatte. Bis Mittag war eine neue Scheibe eingesetzt, der Kühlschrank war voll und die Wohnung einigermaßen sauber.
Aus Gründen, die mein Unterbewusstsein mir nicht mitteilen will, bin ich unfähig, gewisse Dinge wegzuwerfen. Verschreibungspflichtige Medikamente. National Geographics. Adressverzeichnisse der American Academy of Forensic Sciences. Telefonbücher.
Man kann ja nie wissen.
Nach Tomaten-, Käse- und Majonäse-Sandwiches mit Anne suchte ich mir alle Telefonbücher im Haus zusammen und stapelte sie neben meinem Computer auf. Dann zog ich Cyrs Liste heraus. Ich wollte Cyrs frühere Mieter aufspüren. Aber wie sollte ich vorgehen? Vorwärts oder rückwärts?
Ich fing mit dem ersten Mieter an.
Von 1976 bis 1982 hatte ein Koffergeschäft die Ladenfläche belegt, die jetzt von Matoubs Pizzeria genutzt wurde. Besitzerin war eine Frau namens Sylvie Vasco gewesen.
Als ich die Nummer auf Cyrs Liste anrief, antwortete ein Student, der im McGill-Getto lebte. Er hatte keine Ahnung, wovon ich redete.
Weder der Computer noch irgendein Telefonbuch verzeichnete eine Sylvie, aber zusammen lieferten sie mir sieben S. Vascos. Eine Nummer existierte nicht mehr. Bei zweien meldete sich niemand. Der dritte Anruf landete in einer Anwaltskanzlei. Bei den letzten dreien meldeten sich Frauen. Keine hieß Sylvie oder kannte eine Vasco mit dem Vornamen Sylvie oder Sylvia.
Ich kreiste die beiden Nummern ein, bei denen sich niemand gemeldet hatte, und machte weiter.
Von 1982 bis 1987 hatte sich in der jetzigen Pizzeria eine Metzgerei mit dem Namen Boucherie Lehaim befunden. Cyr hatte den Namen Abraham Cohen dazugeschrieben und dahinter die Anmerkung »Schreibung?«.
Die Weißen Seiten führten unzählige Cohens in und um Montreal. Auch sie schlugen alternative Schreibungen vor, darunter Coen, Cohen, Cohn, Kohen und
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