Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
einen Labormantel heraus und zog ihn an. Der Mantel hing an ihm wie ein Laken an einer Vogelscheuche.
»Wer sind diese Leute?« Bergeron deutete auf die Skelette.
»Wurden im Keller einer Pizzabude gefunden.«
»Auswirkungen der Essensqualität?«
»Das glaube ich nicht.«
»Alt?«
»Ich weiß nur, dass sie nach 1950 starben. Irgendwelche Ideen?«
Bergeron nestelte an seinem Kragen und fuhr sich durch die Haare. Es sind außergewöhnliche Haare, weiß und kraus, mit einem Ansatz eine Meile nördlich seiner Brauen. Entgegen jeder Modelogik lässt Bergeron sie so lang wachsen, dass sie wie ein Heiligenschein von seinem Kopf abstehen.
»Die C-14-Datierung deutet daraufhin, dass diese Menschen entweder in den Fünfzigern oder in den Achtzigern und Neunzigern starben.«
Bergeron stakste zu einer Schublade, holte eine Stablampe heraus, nahm den Schädel aus der Kiste zur Hand und betrachtete die Zähne.
»Sehr schlechte Zahnhygiene. Sie haben einen Backenzahn als Untersuchungsprobe gezogen?«
Ich nickte.
»Ich nehme an, Sie haben zuerst Röntgenaufnahmen machen lassen?«
Ich nahm einen braunen Umschlag vom Klemmbrett mit der Fallakte LSJML-38 426 und steckte zehn kleine Filme auf den Lichtkasten. Während Bergeron sie studierte, wirkte sein Haarkranz im fluoreszierenden Licht wie ein elektrisierter Löwenzahn.
»Neben ausgedehnter Fäulnis gibt es kaum etwas Bemerkenswertes. Ein leicht gedrehter oberer rechter Eckzahn.« Er tippte mit knochigem Finger auf das Röntgenbild.
»Altersschätzung?«, fragte ich.
»Sechzehn, vielleicht achtzehn.«
»Das habe ich mir auch gedacht.«
Bergeron wandte sich nun LSJML-38 428 zu.
»Diese hier war in ein Ledertuch eingewickelt.«
»Wurde bei dieser Leiche eine Autopsie durchgeführt?«
»Was meinen Sie damit?« Bergerons Frage überraschte mich.
»Diese Schnitte hier am Schläfenbein. Könnten die beim Abziehen der Schädelschwarte entstanden sein?«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
Ich trug den Schädel zum Mikroskop und betrachtete die Schnitte zuerst mit niedriger, dann mit hoher Vergrößerung. Bergeron setzte seinen Gedankengang fort.
»Vielleicht sind das alte Biologie-Präparate oder Unterrichtsskelette. Vielleicht hatte jemand sie als Kuriositäten aufgehoben und später das Interesse verloren, oder er dachte, der Besitz ist zu riskant.«
Daran hatte ich auch schon gedacht. So etwas kam relativ häufig vor.
»Es gibt keine Bohrlöcher, keine Drahtfragmente, kein Anzeichen für chemische Behandlung oder mechanische Manipulation. Die Knochen wurden nicht als Ausstellungsstücke präpariert.«
In der Vergrößerung sahen die Schnitte am Schläfenbein aus wie breite v-förmige Täler. Einige verliefen parallel zur Ohröffnung, andere gingen in verschiedenen Winkeln davon ab. Winzige Absplitterungen an den Rändern deuteten darauf hin, dass die Schnitte erst beigebracht worden waren, als der Knochen trocken und fleischlos war.
»Diese Spuren stammen nicht von einem Skalpell. Der Querschnitt ist zu breit. Außerdem ist die Anordnung beliebiger, als man es bei einer Autopsie erwarten würde. Ich glaube, es sind postmortale Artefakte.«
Ein halb ausgegorener Gedanke klopfte an mein mentales Hintertürchen.
Warum die V-Form? Das war nicht typisch für eine Abschleifung.
»Die da hatte deutlich weniger Zahnprobleme.«
Ich hob den Kopf. Bergeron stand am zweiten Arbeitstisch und untersuchte die Kieferfragmente von LSJML-38 427.
»Die Aufnahmen der Zahnwurzeln sind in der Akte.« Ich deutete auf einen gelben Umschlag neben den Knochen.
Bergeron klemmte die Zahnaufnahmen an den Lichtkasten.
»Könnte ein bisschen jünger sein, vielleicht fünfzehn bis siebzehn.«
»Fällt Ihnen irgendwas Charakteristisches auf?«
Bergeron schüttelte den Kopf. Die Haarkrause zitterte.
Er legte die Kieferfragmente von 38 427 wieder zurück, ging noch einmal zu 38 428, nahm den Schädel zur Hand und richtete die Stablampe darauf.
»Da war was auf diesem da …« Bergeron hielt inne.
»Was?«
Bergeron legte den Schädel weg, nahm den Unterkiefer und richtete seine Lampe auf die Zähne.
»Ja.«
Ich stand vom Mikroskop auf und ging zu ihm.
»Was?«
»Das sollte die Ungenauigkeit in Ihrer Datierung beseitigen.«
Bergeron gab mir den Schädel und die Lampe.
21
»Kippen Sie den Schädel nach hinten und bewegen Sie den Lichtstrahl über den Backenzähnen hin und her.«
Ich tat es.
»Können Sie einen gewissen Glanz in den Vertiefungen des Schmelzes
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