Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
oder eine absichtlich erzeugte bizarre ästhetische Aussage war.
Ryan nahm den Windsor-Stuhl, der neben dem Sekretär stand, und stellte ihn, mit einer Körpersprache, die alles andere als beruhigend wirken sollte, direkt vor Menard. Er setzte sich, stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte sich so weit vor, dass sein Gesicht nur Zentimeter von Menards entfernt war.
Unser widerstrebender Gastgeber trug Pantoffeln, Jeans und ein Sweatshirt, dessen Ärmel er über die Ellbogen hochgeschoben hatte. Er wich vor Ryan zurück, zog die Ärmel bis zu den Handgelenken hinunter, schob sie wieder hoch, rückte seine Brille zurecht und wartete.
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Mr. Menard. Sie haben unser Interesse geweckt.«
» Je suis … «
»Soweit ich weiß, sind Sie Amerikaner, Englisch dürfte deshalb kein Problem für Sie sein, oder?«
Menard zog das Kinn ein wenig ein, sagte aber nichts.
»Richard Cyr sagte uns, dass Sie in seinem Haus an der Rue Ste. Catherine vor einigen Jahren eine Pfandleihe hatten.«
Menards Lippen wurden nadeldünn, und eine Furche zeigte sich über der Stelle, wo seine Brauen hätten sein sollen.
»Haben Sie ein Problem mit dieser Frage?«
Menard strich sich übers Kinn, rückte noch einmal die Brille zurecht.
»Ziemlich erfolgreiches Geschäft. Hielt sich, wie lange? Neun Jahre? Sie sind ein junger Mann. Was brachte Sie zu der Entscheidung, die Pfandleihe aufzugeben?«
»Ich war nicht nur ein einfacher Pfandleiher. Ich habe mit Sammlerstücken gehandelt.«
»Bitte erklären Sie mir das.«
»Ich half Sammlern, schwer zu findende Stücke aufzutreiben. Briefmarken, Münzen. Spielzeugsoldaten.«
Ich hatte schon oft miterlebt, wie Ryan Verdächtige verhörte. Er konnte Schweigen sehr effektiv einsetzen. Die verhörte Person beendete ihre Antwort, aber anstatt eine neue Frage zu stellen, schaute Ryan nur erwartungsvoll hoch und wartete.
Das tat er auch jetzt.
Menard schluckte.
Ryan wartete.
»Es war ein völlig legales Geschäft«, murmelte Menard.
Irgendwo im Haus hörte ich eine Tür auf- und wieder zugehen.
»Die Sache wurde kompliziert. Das Geschäft ließ nach. Der Mietvertrag lief aus. Und da beschloss ich, ihn nicht zu erneuern.«
»Inwiefern kompliziert?«
»Einfach nur kompliziert. Hören Sie, ich bin kanadischer Staatsbürger. Ich habe Rechte.«
»Ich stelle Ihnen nur ein paar Fragen, Mr. Menard.«
Der Augenkontakt war für Menard deutlich schwieriger geworden. Sein Blick sprang von seinen Händen zu Ryan und dann wieder hinunter.
Ryan gestattete sich noch eine längere Pause. Dann: »Warum dieser Wechsel von der Archäologie zur Pfandleihe?«
»Wovon reden Sie?«
»Was ist in Chico passiert?«
Ein Gedanke flitzte durch meinen Kopf. Ich verfolgte ihn nicht.
»Haben Sie einen Haftbefehl?«, fragte Menard und rückte schon wieder seine Brille zurecht.
»Nein, Sir«, sagte Ryan.
Menards Blick wanderte zu einem Punkt hinter Ryans linker Schulter. Wir drehten uns beide um.
In der Tür stand eine Frau. Sie war groß und dünn, hatte elfenbeinfarbene Haut und einen langen, schwarzen Zopf. Ich schätzte sie auf Mitte bis Ende zwanzig.
Die Krähenfüße um Menards Augenwinkel zogen sich zusammen.
Die Frau erstarrte so offensichtlich, dass sie zusammenzuzucken schien. Dann legte sie die Arme um die Taille und verschwand wieder.
Menard stand auf.
»Ich werde keine Fragen mehr beantworten. Entweder Sie verhaften mich, oder Sie verlassen mein Haus.«
Ryan ließ sich mit dem Aufstehen Zeit.
»Gibt es einen Grund, warum wir Sie verhaften sollten, Mr. Menard?«
»Natürlich nicht.«
»Gut.«
Ryan zog den Reißverschluss seiner Jacke zu. Ich zog meine an und ging in Richtung Diele. Als ich am Sekretär vorbeikam, fiel mir der Brieföffner auf.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie Ryan noch einmal sein Gesicht dicht vor Menards schob.
»Im Augenblick machen wir es so, wie Sie wollen, Sir. Aber wenn Sie mir Informationen vorenthalten, dann werde ich dafür sorgen, dass Sie es bereuen.«
Diesmal schaute Menard Ryan direkt in die Augen. Die beiden starrten sich einige Augenblicke an.
Ich drehte mich um und steckte heimlich den Brieföffner in meine Handtasche.
27
»Gedanken?« Ryan wendete am hinteren Ende der de Sébastopol.
»Falls die Kirche je wieder die Inquisition einführt, bist du der Erste, den sie einstellt.«
»Ich betrachte das als Kompliment. Was hältst du von Menard?«
»Der Kerl war mir unheimlich. Glaubst du, dass die Haarlosigkeit
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