Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
ein krankhafter Zustand ist?«
Ryan schüttelte den Kopf. »Ich konnte auf seinem Schädel kleine Schnitte entdecken.«
»Warum rasiert und zupft sich ein Mann sämtliche Haare?«
»Ein Fan von Telly Savalas?«
»Am ganzen Körper?«
»Um sich das Geld für Shampoo zu sparen?«
»Ryan.«
»Um sich auf die Schwimmwettbewerbe der nächsten Olympiade vorzubereiten?«
Diesmal sagte ich gar nichts.
»Ich weiß auch nicht. Ausgeflippter Friseur? Läuse? Irgendeine Haarphobie?«
»Ist dir aufgefallen, wie komisch die Frau sich verhielt?«
»Ist nicht gerade herbeigeeilt, um uns Tee anzubieten.«
»Sie wirkte entsetzt.«
Ryan zuckte die Achseln. »Vielleicht. Vielleicht hat die Dame einfach etwas gegen ungeladene Gäste.«
»Claudel sagte, den Unterlagen zufolge wohnt außer Menard niemand unter dieser Adresse. Was glaubst du, wer sie ist?«
»Ich habe vor, das herauszufinden.«
Ich erzählte ihm von dem Brieföffner.
»Illegale Beschlagnahmung.«
»Ja«, pflichtete ich ihm bei.
»Ein Richter würde jedes Indiz, das daraus erwächst, vom Prozess ausschließen.«
»Ja«, sagte ich noch einmal. »Aber ein Fingerabdruck könnte die Frau identifizieren.«
»Könnte.«
»Hör mal. Es war ein Impuls. Der Öffner lag einfach da. Ich dachte mir, vielleicht hat die Frau ihn in der Hand gehabt. Ich habe mir das Ding nur geborgt.«
»Aha.«
»Ich bringe es wieder zurück.«
»Daran habe ich nie gezweifelt.«
Die Sonne stand sehr tief, und in ihrem Gegenlicht wurde die mit salzigem Matsch besprühte Windschutzscheibe beinahe undurchsichtig. Wir verstummten, weil Ryan sich aufs Fahren konzentrieren musste.
»Könnte die antiken Knöpfe erklären«, sagte ich, als wir den Canal Lachine überquerten und auf de la Montagne einbogen.
»Könnte.«
Plötzlich kam mir ein Gedanke.
»Die Fälschung«, sagte ich und wandte mich Ryan zu.
»Glaubst du, dass Menard seinen Kunden half, ihre Sammlung zu vervollständigen, indem er selbst ein bisschen was fabrizierte?«
»Vielleicht denkt er, dass wir in diese Richtung ermitteln. Vielleicht war er deshalb so nervös.«
»Möglich ist es.«
Mir fiel noch etwas anderes ein.
»Oder vielleicht stolperte Menard über die Skelette, behielt die Sache aber für sich, weil er glaubte, die Knochen irgendwann an einen Sammler verkaufen zu können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in Kanada illegal ist, mit menschlichen Skelettteilen Handel zu treiben.«
»Auch das ist möglich.«
Ich lehnte mich zurück. »Mein Bauch sagt mir allerdings, dass mehr dahinter steckt.«
»Wenn der Kerl was zu verbergen hat, finde ich es heraus.«
»Menard war eindeutig nicht erfreut, uns zu sehen.«
»Verströmte die Herzlichkeit eines Autopsiesaals. Was mich darauf bringt. Wohin willst du?«
»Ins Institut.«
Ich rief in meiner Wohnung an, um Anne nach ihren Plänen zu fragen, erhielt aber keine Antwort. Ich hinterließ ihr die Nachricht, sie solle mich anrufen.
Zwanzig Minuten später saß ich an meinem Schreibtisch. Ryan hatte versprochen, den Brieföffner zur SIJ zu bringen. Entweder er oder ein Techniker würde anrufen, falls man Fingerabdrücke hatte abnehmen können.
Solange ich Anne kenne, hat sie immer hartnäckig behauptet, sie möge die indische Küche nicht. Ich rief noch einmal an, um ihr ein Abendessen im Maison du Cari vorzuschlagen, weil ich mir sicher war, dass der Lamm-Khorma ihre Meinung ändern würde.
Wieder keine Antwort. Die zweite Nachricht.
Auf meinem Schreibtisch lagen zwei Ausdrucke. Der längere war Claudels Liste mit den Mädchen, die in Quebec als vermisst gemeldet worden waren. Der kürzere war die mit den Mädchen, die im nördlich-zentralen Kalifornien verschwunden waren.
Ich fing mit der ersten Liste an.
Einen nach dem anderen ging ich die Namen durch und schloss alle Mädchen aus, deren Profile nicht mit den Skeletten im Pizzakeller vereinbar waren. Heftige Kopfschmerzen meldeten sich, als ich zu Manon Violette kam.
Manon Violette hatte einen verdrehten oberen rechten Eckzahn und keine Füllungen.
Aufregung durchzuckte mich, und ich setzte mich auf.
Das Mädchen aus Dr. Energy’s Kiste hatte einen verdrehten oberen rechten Schneidezahn und keine Füllungen.
Mit stockendem Atem las ich die Details.
Manon Violette verschwand vor neun Jahren, nachdem sie ihr Zuhause in Langueuil verlassen hatte, um mit dem Bus ins Centre-ville zu fahren.
Violette war weiß.
Violette war fünfzehn Jahre alt.
Der nächste Eintrag war ein Schlag in die
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