Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
dieser Gegend höchstens sporadisch geräumt. Die Bürgersteige verschwanden unter der weißen Pracht, und Autos parkten halb auf den Fahrspuren. Ryan fuhr langsam und hielt sich weit rechts, um dem Gegenverkehr Platz zu machen. Während wir tief in den Pointe hineinfuhren, schaute ich mir die Umgebung an.
Die Architektur war eine Mischung aus neunzehntem und zwanzigsten Jahrhundert, wobei der Großteil der Häuser offensichtlich für die verarmte Arbeiterklasse errichtet worden war. Viele Straßen waren gesäumt von einstöckigen Backstein-Reihenhäusern, deren Türen direkt auf den Bordstein hinausgingen. Andere Straßen neigten eher zu grob behauenem Kalkstein. Die meisten dieser Häuser waren zwar sehr schlicht, doch einige hatten ein Dachgesims, eine falsche Mansarde oder eine geschnitzte hölzerne Gaube.
Unter diese sozialen Bemühungen des neunzehnten Jahrhunderts mischten sich zweistöckige Dreier- oder Sechserreihen aus den Anfangsjahren des zwanzigsten. Ihre Erbauer hatten die Großzügigkeit besessen, die Fassaden etwas zurückzusetzen, so dass winzige Vorgärten, Eingänge mit Vordächern, gelbe, beige oder braune Klinkerverkleidungen und Außentreppen zu Baikonen im ersten Stock entstanden waren.
In der Nähe der Einfahrt zum Maison St. Gabriel kamen wir an mehreren dreistöckigen Nachkriegsmonstrositäten mit Eingängen unter Beton- oder Plastikvordächern vorbei. Den Erbauern dieser Schandflecke war Effizienz offensichtlich wichtiger als Stil. So viel zu Feng Shui.
Nach einigen Kurven bog Ryan nach rechts ab, und die Rue de Sébastopol lag vor uns. Links breitete sich, halb versteckt hinter einem fast zwei Meter hohen Zaun und immergrünen Hecken, das Eisenbahngelände aus. Ich erkannte Reihe um Reihe verrosteter Tankwaggons.
Schnee knirschte unter den Reifen, als Ryan anhielt. Wortlos schauten wir beide die Straße entlang.
Etwa in der Mitte des Blocks reichte eine Häuserreihe bis an die Straße, die heruntergekommenen kleinen Behausungen schienen sich zusammenzukuscheln, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Oder wärmen.
Hinter den Reihenhäusern erkannte ich eine Lücke, dann ein Durcheinander von Betonbauten mit Graffiti-Schmierereien an den Außenwänden. Rechts von uns stand hinter einem heruntergekommenen Zaun eine baufällige Scheune. Innerhalb des Zauns kläffte ein Köter, der etwas gegen unsere Anwesenheit zu haben schien.
Kahle Bäume streckten ihre Äste zwischen Stromleitungen hindurch. Zusammengeschobene Schneehaufen glänzten schwarz vor Ruß und Dreck.
Rue de Sébastopol sah aus wie viele Straßen im Pointe.
Allerdings noch trister.
Noch einsamer.
Links gähnte das riesige unbewohnte Eisenbahngelände. Hinter uns lag die einzige Zufahrt zur Straße.
Als ich den Block entlangstarrte, beschlich mich eine ungute Vorahnung.
Ryan nickte in die Richtung der Reihenhäuser. »Das ist die Sébastopol Row, erbaut in den 1850ern von der Grand Trunk Railway.«
»Offensichtlich war den Eisenbahnbaronen Schönheit kein Anliegen.«
Ryan zog die Serviette aus der Tasche, las die Adresse noch einmal und fuhr dann langsam ein Stückchen weiter, um die Nummer des ersten Reihenhauses ablesen zu können.
Der Hund hörte auf zu bellen und schaute uns nach.
»Was für eine Nummer ist es?«
Ryan nannte sie mir.
»Muss noch weiter unten sein.«
Während Ryan langsam weiterfuhr, las ich die Ziffern ab. Die Hausnummern der Reihenhäuser gingen nicht hoch genug, aber die des ersten Betonbaus deutete darauf hin, dass wir schon zu weit gefahren waren.
»Vielleicht liegt das Haus weiter zurückgesetzt, im hinteren Teil dieser Brachfläche«, bemerkte ich.
Ryan wendete und parkte gegenüber dem letzten Reihenhaus. Durch nackte Laubbäume und schneeschwere Fichten war schwach ein Umriss erkennbar.
»Bereit?« Ryan holte seine Handschuhe vom Rücksitz.
»Bereit.«
Ich zog meine Fäustlinge an und stieg aus. Als der Hund das Knallen unserer Türen hörte, fing er wieder an zu bellen.
Ryan bog in einen eisverkrusteten Fußweg etwa zwei Meter hinter dem letzten Reihenhaus ein. Benadelte Zweige und kahle Äste verdeckten den Himmel, so dass wir wie durch einen düsteren Tunnel gingen.
Die Luft roch nach Kiefern, Holzrauch und etwas Organischem.
»Was ist das für ein Gestank?«, flüsterte ich.
»Pferdemist.« Auch Ryan sprach leise. »Der alte Kläffer bewacht einen calèche -Pferdestall.«
»Die Pferde, die im alten Montreal die Kutschen ziehen?«
»Genau die.«
Ich schnupperte
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