Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Magengrube.
Manon Violette war nur einhundertsiebenundvierzig Zentimeter groß.
Verdammt.
Ich hatte die Größe des Mädchens aus der Kiste auf etwa einssiebenundfünfzig geschätzt.
Konnte ich mich so geirrt haben?
Ich rannte ins Labor und prüfte es nach.
Nee. Das Mädchen aus der Kiste war winzig. Aber nicht so winzig. Auch wenn man einen Ungenauigkeitsfaktor berücksichtigte, war 38 426 zu groß.
Was war mit 38 427? Ich hatte ihr Alter auf fünfzehn bis siebzehn, ihre Größe auf einhundertdreiundsechzig bis einhundertsiebzig Zentimeter geschätzt.
Ich zog den Schädel heraus und überprüfte die Zähne.
Der Traum jedes Zahnarztes. Perfekte Anordnung. Keine verdrehten Zähne.
Zurück zur Liste.
Eine Stunde später lehnte ich mich frustriert zurück.
Ich gab es zwar nicht gerne zu, aber Claudel hatte Recht. Keine Übereinstimmungen. Wenn die Größe passte, dann das Alter nicht. Wenn Alter und Größe mit einem der Skelette übereinstimmten, dann schloss die Herkunft oder ein anderes Merkmal die Kandidatin aus.
Keine der Vermissten aus Quebec und nur eine aus Kalifornien hatte eine Colles-Fraktur der rechten Speiche erlitten.
Claudel hatte das Mädchen aus Kalifornien in einer unserer früheren Unterhaltungen erwähnt. Ich las mir ihren Eintrag durch.
1985 gab Leonard Alexander Robinson beim Tehama County Sheriff’s Department eine Vermisstenmeldung auf. Robinsons Tochter Angela, weiß, vierzehn Jahre und neun Monate alt, verließ am Abend des 21. Oktober ihr Zuhause und wurde nie mehr wieder gesehen. Freunde gaben an, sie hätte vorgehabt, zu einer Party zu trampen.
Angela Robinson, »Angie« gerufen, war mit acht Jahren von einer Schaukel gefallen und hatte sich das rechte Handgelenk gebrochen.
Angie war eins fünfundfünfzig groß.
Wieder ins Labor, um meine eigenen Ergebnisse zu überprüfen.
Angie Robinson war zu jung, um das Mädchen in der Lederumhüllung zu sein.
Und zu klein.
Ich war frustriert, und mein Kopfweh spaltete mir schier den Schädel. Was, wenn Angie nach ihrem Verschwinden noch eine Zeit gelebt hatte? Sie wäre älter geworden. Und vielleicht größer.
Wieder klopfte mein Unterbewusstsein an.
Was?
Die Uhr zeigte zehn nach fünf. Ich beschloss, Feierabend zu machen.
Zurück in meinem Büro, rief ich Anne ein drittes Mal an.
Noch immer keine Antwort.
Ich legte eben den Hörer wieder auf, als jemand an meine Tür klopfte.
»Hey, Doc.« Charbonneau war von Kopf bis Fuß in Polyester gewandet. Und dazu Cowboystiefel.
»Hi.«
»Ich war gerade auf dem Weg nach draußen, und da dachte ich mir, ich schaue kurz hoch und erzähle Ihnen den neuesten Klatsch.«
Mit dem, was von meinem Hirn noch übrig war, versuchte ich das zu interpretieren.
»Klatsch?«
Charbonneau nahm einen rosafarbenen Klumpen aus seinem Mund, betrachtete ihn, verdrehte dann die Augen und neigte den Kopf in die Richtung meines Papierkorbs.
Ich gab ihm ein Post-it.
Charbonneau wickelte den Kaugummi ein und warf ihn in hohem Bogen in den Korb.
»Ryan hat mir von Ihrem Besuch in Menards Höhle in der de Sébastopol erzählt. Klingt, als wäre der Kerl echt eine harte Nuss.«
»Ja.«
Ich massierte mir die Schläfen mit den Fingerspitzen.
»Kopfweh?«
Ich nickte.
»Versuchen Sie’s mal mit wirklich scharfem Essen. Bei mir wirkt das immer.«
»Danke.«
»Von meiner Seite her gibt’s nicht viel Neues. Menard hat in Kalifornien keine Vorstrafen. Was seine akademische Karriere betrifft, habe ich allerdings eine Korrektur. Der Kerl wurde nicht rausgeworfen. Er hatte sich sogar schon für das zweite Jahr in Chico eingeschrieben.«
»Und?«
»Er tauchte einfach nicht auf.«
Ich hörte auf zu massieren. »Menard zahlte die Studiengebühren und schrieb sich für Seminare ein, tauchte dann aber einfach nicht auf?«
»Ja.«
»Warum?«
Charbonneau zuckte die Achseln. »Der Kerl meldete sich nicht ab. Erschien einfach nicht.«
»Hatte er seine Wohnung gekündigt? Seine Konten aufgelöst?«
»Daran arbeite ich noch.«
»Wo war er, bis er im Januar in Vermont auftauchte?«
Charbonneau grinste. »Auch daran arbeite ich noch.«
Die Wohnung war dunkel, als ich ankam. Birdie schlief auf der Sofalehne. Er hob den Kopf und blinzelte, als ich das Licht einschaltete.
»Anne?«, rief ich.
Birdie streckte sich, sprang auf den Boden und drehte sich auf den Rücken.
»Anne?«, rief ich noch einmal, während ich Birdies Bauch kraulte.
Stille.
»Wo ist sie, Bird?«
Der Kater drehte sich und stand
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