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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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heute Mittwoch war. Wenn man sich um das Schreiben herumdrückte, ging das Zeitgefühl verloren.
    «Tut mir leid, das habe ich vollkommen vergessen.»
    Er trat zur Seite, um den Besucher ins Haus zu lassen, der sofort wieder seine Blicke aufmerksam schweifen ließ. Hinter ihm tauchte mit vorsichtigen Schritten eine weitere Person auf den Verandastufen auf. Sie trug eine Polizeiuniform. Ein Blick auf die Dienstmarke erübrigte sich für Eric. Er wusste, dass Kat Campbell in die Fußstapfen ihres Vaters getreten war.
    Fünfundzwanzig Jahre waren vergangen, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Die Zeit schien ihr gut bekommen zu sein. Obwohl älter geworden, hatte sie noch immer das scharf geschnittene Kinn, das sich hob, wenn sie verärgert war, und in gedrückter Stimmung nach unten ging. Ihre Augen leuchteten so freundlich wie früher, wenngleich der Schwung ihrer Lippen nicht erkennen ließ, ob sie angespannt war, womöglich gelangweilt oder vielleicht sogar ein Lächeln anzudeuten versuchte.
    «Wir sind doch wohl nicht schon so alt, dass du mich vergessen hast?»
    «Wir sind älter geworden», erwiderte Eric. «Aber wie hätte ich dich vergessen können, Kat?»
    Das angedeutete Lächeln verlor sich nicht, als sie ihn flüchtig umarmte, ein wenig nervös, wie es schien. Eric hatte gehofft, dass sie so reagieren würde, aber nicht wirklich erwartet. Umarmt zu werden hatte er eigentlich nicht verdient, jetzt nicht und schon gar nicht damals.
    «Lass dich ansehen», sagte Kat.
    Als sie einen Schritt zurücktrat, um ihn zu betrachten, fragte sich Eric unwillkürlich, wie wohl der Vergleich zu seiner achtzehnjährigen Erscheinung ausfallen würde. Die Schulzeit lag lange zurück. Er trug jetzt Kontaktlinsen und hatte sein braunes, lockiges Haar ganz anders frisiert. Von der Statur her war er schlanker und muskulöser, denn je älter er wurde, desto eifriger trainierte er im Fitnessstudio.
    An seinem Gesicht aber hatte sich nicht viel geändert. Seine Haut war frei von Falten. Noch. Jedenfalls war er seiner genetischen Veranlagung dankbar. Wenn er sich auf alten Fotos aus der Schulzeit sah, war er selbst überrascht, dass die markanten Merkmale – die Kieferform, die kräftige Nase, das leicht schiefe Lächeln – fast unverändert geblieben waren.
    «Du siehst gut aus», sagte Kat. «Und es freut mich, dass du so erfolgreich bist. Ehrlich.»
    Eric wusste, das letzte Wort war nicht zufällig angehängt. Sie wollte ihm damit sagen, dass sie sich an alles erinnerte, aber bereit war, darüber hinwegzusehen.
    «Arbeitest du auch für die Sarah-Donnelly-Stiftung?», fragte Eric.
    Kat warf einen Blick auf Nick, der das Wiedersehen der beiden stumm beobachtet hatte und ungeduldig an seinem Stock lehnte. «Nein, obwohl Nick das sicher gern hätte.»
    Eric schaute die beiden an. «Und warum bist du dann hier?»
    «Ich mache meinen Job als Polizistin von Perry Hollow», antwortete Kat und trat durch die Tür. «In dieser Funktion interessiert mich, wie du dir das Verschwinden deines Bruders erklärst.»
    «Dafür habe ich keine Erklärung», entgegnete Eric. «Nur die meiner Mutter.»
    «Und die wäre?»
    «Dass Charlie entführt wurde.»

    Sie saßen im Esszimmer, das dringend einer Renovierung bedurfte, an einem ramponierten Tisch, Eric auf der einen, Nick und Kat auf der anderen Seite. Diese Sitzverteilung zwang Eric, sich entweder dem privaten Ermittler zuzuwenden, den er engagiert hatte, oder seiner alten Flamme. Weil er sich nicht entscheiden konnte, blickte Eric durch die Lücke zwischen ihren Schultern auf das verblichene Rosenmuster der Tapete: winzige Blüten an dornenfreien, in sich verschlungenen Ranken. Das Rot der Blüten war nicht mehr zu erkennen, und welche Farbe die Ranken einmal gehabt hatten, wusste er nicht mehr.
    «Bevor ich einen Fall übernehme», sagte Nick, «möchte ich mir ein Bild machen, um entscheiden zu können –»
    «Ob sich der zeitliche Aufwand für Sie lohnt», führte Eric den Satz zu Ende. «Das verstehe ich gut.»
    Mitch Gracey wäre nicht anders verfahren. Auf unlösbare Fälle verschwendete er keine Zeit. Und er hätte es wohl rundweg abgelehnt, in dem Fall des vermissten Charlie zu ermitteln. Eric konnte nur hoffen, dass Nick Donnelly anders dachte.
    «Gut», sagte Nick. «Dann erzählen Sie mir mal, woran Sie sich erinnern können.»
    «Da gibt’s nicht viel zu erzählen», erwiderte Eric. «Ich war noch ein Baby, als mein Bruder verschwand.»
    «Aber von Ihren Eltern werden Sie

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