Totennacht (German Edition)
die Zeit fest davon überzeugt gewesen, dass Charlie entführt worden sei. In ihrem Testament hatte sie verfügt, dass ein Teil des Ersparten für die Aufklärung der Hintergründe aufgewendet werden solle; dafür zu sorgen sei Aufgabe ihres Sohnes Eric.
Er hatte ein paar Tage gewartet und sich dann mit verschiedenen Privatdetektiven in Verbindung gesetzt, die er im Zuge seiner Recherchen für seine Bücher kennengelernt hatte. Doch alle hatten sie erklärt, was auch Nick Donnelly meinte, nämlich dass die Hinweise äußerst dürftig und erfolgreiche Ermittlungen so gut wie aussichtslos seien. Erics hartnäckige Bitte, dennoch zu helfen, hatten sie letztlich ausgeschlagen.
Er ließ sich ein paar Tage Zeit, um Alternativen zu prüfen, und stieß dann im Philadelphia Inquirer zufällig auf einen Artikel über die Sarah-Donnelly-Stiftung. Angetan von deren Mission, Hoffnungslosen Hoffnung zu machen, hatte er sich am Freitag bei Nick Donnelly gemeldet. Jetzt war es Mittwoch, und Nick saß vor ihm. Der fragte nun: «Haben Sie eine Ahnung, warum Ihre Mutter davon überzeugt war, dass Ihr Bruder entführt wurde?»
Und Kat fügte hinzu: «Sie hätte doch auch mich oder meinen Vater darauf ansprechen können.»
«Ich wünschte, ich wüsste eine Antwort darauf», murmelte Eric. «Mir gegenüber hat sie ihren Verdacht nie geäußert.»
«Ich würde Ihnen gern helfen, die Wahrheit herauszufinden», sagte Nick. «Aber dafür brauche ich viel mehr Informationen.»
Eric richtete seinen Blick auf Kat. Die Uniform stand ihr überraschend gut. Und weil er sie als pflichtbewusst und loyal kannte, fand er es auch angemessen, dass sie eine Dienstmarke angesteckt hatte. Trotzdem sah er in ihr vor allem das hübsche Mädchen, mit dem er vor Jahren befreundet gewesen war
«Damit wird uns Kat vielleicht behilflich sein können», sagte er. «Oder hat die Polizei mit der Sache nichts mehr zu tun?»
«Für uns ist der Fall abgeschlossen», beeilte sich Kat zu antworten. «Allerdings habe ich Nick schon angeboten, dass er sämtliche Akten einsehen kann. Darin ist jedoch eine mögliche Entführung mit keinem Wort erwähnt. Ich glaube nicht, dass die Unterlagen besonders hilfreich sein werden.»
«Bleibt also nur die Hoffnung, innerhalb der Familie fündig zu werden», meinte Nick. «Lebt Ihr Vater eigentlich noch?»
Eric nickte, zweifelte aber daran, dass über ihn etwas zu erfahren sein würde. Ken Olmstead, sein Vater, war nie da gewesen, wenn er, sein Sohn, ihn brauchte. Warum sollte er jetzt für ihn da sein?
«Oder in der Nachbarschaft», schlug Kat vor. «Lee und Becky Santangelo wohnen immer noch nebenan. Genau wie Glenn Stewart.»
Aber auch was das anging, war Eric skeptisch. Zwar wohnten die Santangelos bereits, solange er denken konnte, auf der anderen Straßenseite, doch wirklich kennengelernt hatte er sie nie. Noch ehe er laufen gelernt hatte, war es zwischen ihnen und seiner Mutter zum Zerwürfnis gekommen. Wenn sich ihre Wege zufällig kreuzten, hatte es statt freundlicher Grüße immer nur frostige Blicke gegeben.
Ein wenig besser wurde das nachbarschaftliche Verhältnis erst, nachdem Lee in die Politik gegangen war und bei Wahlkämpfen gelegentlich bei den Olmsteads angeklopft hatte, um für sich zu werben.
Aber noch fremder als die Santangelos war ihm Glenn Stewart, der so selten auf der Straße auftauchte, dass Eric überhaupt nicht mehr an ihn gedacht hatte. Das große Haus war völlig baufällig, womöglich gar nicht mehr bewohnt und ebenso leer wie das, in dem Mort und Ruth Clark gelebt hatten.
«Ja, bei den Nachbarn sollten wir anfangen», sagte Nick. «Ich werde mich mit ihnen unterhalten und sie fragen, was ihnen aus der Nacht damals in Erinnerung geblieben ist. Vielleicht hat ja irgendjemand das eine oder andere bemerkt.»
Eric zuckte mit den Schultern, was Mitch Gracey nie tat. Gracey war überhaupt das komplette Gegenteil seines Erfinders, nämlich voller Entschlusskraft, durchsetzungsfähig und selbstbewusst. Gracey hätte wahrscheinlich längst bei den Santangelos angeklopft und sie zur Rede gestellt, anstatt wie er, Eric, hier am Esstisch zu sitzen und diesem Nick Donnelly zuzuhören, der jetzt auf den Wasserfall zu sprechen kam.
«Wie weit ist er von hier entfernt?»
Obwohl die Frage an Eric gerichtet war, antwortete Kat. «Es ist gleich hinter dem Wald am Ende der Sackgasse.»
«Zu Fuß keine fünf Minuten», fügte Eric hinzu.
«Gut, dann gehen wir gleich mal hin.» Nick langte nach seinem
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