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Totenpech

Titel: Totenpech Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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die Richtung, wo er den
Ausgang vermutete. Er würde sich viel Zeit lassen, bevor er oben die Tür öffnen
wollte. Nichts wäre verheerender, als entdeckt zu werden. Er war sich sicher,
dass diese Leute vor nichts zurückschrecken würden, um ihr Geheimnis zu
bewahren. Und wer würde ihn vermissen? Na ja, bestimmt seine Mutter, und die
Museumskollegen in München sicher auch. Vielleicht vermuteten sie, dass er tot
war. Kein schlechter Gedanke! Wer würde schon darauf kommen, dass er in Kairo
saß? Wenn sein Plan aufgegangen war, hatte Direktor Hansen auf jeden Fall ein
ganzes Stück Ärger am Hals. Die Rache des kleinen Mannes. Und seine Mutter? Sie
hätte ihm ohnehin all seine Pläne ausgeredet. Wahrscheinlich hätte sie noch
eine schwere Krankheit simuliert, nur um ihn für immer und ewig an sich zu
binden.
    Nachdem er die fünftausend Euro auf seinem Konto gesehen hatte, war
er in ein Hotel gegangen und hatte sich überlegt, wie er dem arroganten Hansen
eins auswischen konnte. Sein Wunsch, Deutschland zu verlassen und sich direkt
vor Ort der Ägyptologie – seiner heimlichen Geliebten – zu widmen, hatte seit
seiner Pubertät in ihm geschlummert.
    Er war ein ängstlicher Mensch, war nie ein Risiko eingegangen, hatte
nie wirklich an einen Orts- oder Wohnungswechsel gedacht. Dreißig Jahre hatte
er im selben Zimmer in derselben Wohnung mit derselben Person gelebt. Seiner
Mutter. Nach dem Abitur hatte er umgehend mit dem Studium der Archäologie und
Geschichte begonnen und zwischendurch ein Praktikum am Institut für
Anthropologie gemacht. In den Ferien war er ausschließlich nach Ägypten
gereist. Die gesamte Architektur der altägyptischen Zeit erschien ihm jedes Mal
wie ein Wunder. Die Hieroglyphen an den Wänden hatte er lesen können wie seine
eigene Handschrift. Doch wenn er durch die Reste der zerfallenen Tempel gegangen
war, hätte er jedes Mal weinen können. Die Zeit und vor allem die Menschen in
den vergangen Jahrhunderten hatten alles mit ihrer Nichtachtung und Gier
zerstört, und wenn er dann noch sah, dass kleingeistige Touristen ihre
Initialen in die tausend Jahre alten Wände kratzten mit »Ulli was here« oder
ähnlichem Mist, stieg unbändige Wut in ihm auf.
    Auf jeden Fall hatte Hansens Schweigegeld ihm ein Türchen zu seinem
Traum geöffnet. Er hatte einem Junkie einen Fünfzig-Euro-Schein in die Hand
gedrückt und ihn mit dem Umschlag zum Revier geschickt. Ob der Polizist ihn
erhalten hatte, wusste er nicht. Es war ihm auch egal. Allerdings dachte er
jetzt darüber nach, ob er diesen O ’Connor oder Niemann nicht davon in Kenntnis setzen
sollte, dass sich die verschwundene Büste hier in Kairo befand. Doch seine
Mutter hatte ihm beigebracht, sich immer aus allem herauszuhalten. Es ersparte
einem viel Ärger. Natürlich war es eine bequeme, wenn nicht sogar feige Art,
aber er war damit bisher immer gut gefahren. Dabei fiel ihm ein, dass es an der
Zeit war, sich bei seiner Mutter zu melden. Auch wenn sie ihm die Ohren
vollheulen würde, endlich wieder nach Hause zu kommen. Er fühlte sich hier
wohl, und er würde hier bleiben, solange es ging.
    Ronald Walter war oben an der Kellertür angekommen. Er legte sein
Ohr an die Tür und horchte angestrengt, ob er irgendwelche Stimmen hören
konnte. Es war alles still. Wenn die Dunkelheit nicht so Furcht einflößend
wäre, würde er sogar hier unten im Keller übernachten. Behutsam öffnete er die
Tür, hoffte, dass sie kein Geräusch von sich gab, und schlüpfte in den Gang
hinaus. Er war noch nie so lange im Museum geblieben. Die Lichter waren überall
gelöscht. Das bedeutete, dass sich jetzt wirklich keine Menschenseele mehr im
Haus befand und er hier eingeschlossen war.
    Ronald Walter wählte sich für sein Nachtlager einen alten steinernen
Seziertisch, rollte sich seitlich ein und schloss die Augen. Trotz der sehr
harten Unterlage war er schnell eingeschlafen und merkte nicht mehr, dass er in
dem dunklen Gebäude von über tausend Quadratmetern nicht allein war.

71. KAPITEL
    In der Nacht wachte Lina schweißgebadet auf. Sie hatte
wieder diesen Albtraum gehabt. Dieses Mal war es nicht Sam, sondern Daniel, der
auf ihr Grab hinuntergesehen hatte. Sie streckte die Hand nach Daniel aus,
griff aber ins Leere. Im Badezimmer brannte kein Licht. Wo war Daniel?
    Sie hatten gleich nach dem Museumsbesuch ausgecheckt

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