Totenpech
sich zu
setzen.
Sie lieà sich auf den angebotenen Stuhl plumpsen. »Na. Was wollen
Sie mir jetzt wieder erzählen?«
An der Stimme und an dem Ton erkannte er erst jetzt die Frau wieder,
die vorher den Beamten beschimpft hatte. Sie hatte blasse Haut, stechend blaue
Augen und schwarze, volle, schulterlange Haare, die ihr ovales Gesicht umrahmten.
Sie trug keine Schminke und keinen Schmuck. Offensichtlich legte sie
nicht viel Wert auf ihr ÃuÃeres. Auch ihre Kleidung war einfach und schlicht in
Schwarz gehalten.
»Ich will Ihnen gar nichts erzählen. Am besten, Sie erzählen mir,
worum es geht.«
»Ach, das wissen Sie nicht einmal? Das ist ja groÃartig! Jetzt komme
ich seit Jahren mindestens ein Mal im Jahr hierher, und keiner weià was.
Typisch. Hauptsache, wir Bürger zahlen Steuern, damit Sie als Beamter in der
Nase bohren können. Soll ich Ihnen mal was sagen? Sie kotzen mich alle an.
Alle, wie Sie da sind. Dazu kommt noch dieser verdammte Aufkleber an der Tür: Die Polizei â dein Freund und Helfer .
Ein wirklich schlechter Witz, wenn ich das mal sagen darf.«
Sam lieà schweigend die Hasstiraden über sich ergehen, dann sagte er
so ruhig wie möglich: »Wenn Sie jetzt fertig sind, würde ich gerne wissen,
warum Sie uns jedes Jahr wieder mit Ihrem Besuch erfreuen.«
»Jetzt werden Sie ja nicht frech!«
Sam machte Anstalten aufzustehen, als die Frau ihm ein Foto mit viel
Schwung auf den Tisch knallte.
»Deswegen bin ich hier.« Dann zog sie einzelne Zeitungsausschnitte
aus einer Mappe hervor und legte sie nacheinander vor Sam hin. »Und deswegen
und deswegen. Sie scheinen alle blind zu sein. Das sind doch keine Zufälle,
oder?«
»Das kann ich so nicht sagen, Frau â¦Â«
»⦠Winterfeld. Sybille Winterfeld.« Ihren vollständigen Namen sprach
die Frau leise, fast resigniert aus. Sie hatte wohl schon zu oft ihren Namen
auf dem Dezernat genannt, ohne dass sich jemand jemals an ihn erinnert hatte.
Sam überflog die Ãberschriften der einzelnen Zeitungsausschnitte und
glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er sie las.
»Vermisst«⦠»Trauer um verschwundene Tochter«⦠»Im Urlaub
verschwunden«⦠»In Vergessenheit geraten«⦠»Eine ganze Familie kommt nicht
zurück«⦠»War alles geplant?«⦠»Heimlich ausgewandert?«
»Ich habe sie im Laufe der letzten Jahre gesammelt, nachdem meine
Schwester verschwand. Keiner wollte mir damals glauben, dass Christine nicht
mit ihrem Freund durchgebrannt war. Sie waren lediglich mit dem Auto nach
Portugal gefahren, und von da aus sind sie mit einer Gruppe Leute weiter nach
Marokko gefahren. Urlaub, mehr nicht. Hier, lesen Sie es sich doch durch.«
»Ich höre mir lieber die Geschichte von Ihnen an. Was passierte
dann?« Sam achtete darauf, besonders ruhig zu klingen.
»Na ja, sie sind in Fes durch die Medina gegangen, und Christine und
Ralf waren plötzlich verschwunden. Sie sind nicht mehr zur Gruppe
zurückgekehrt. Die anderen haben noch zwei Tage nach den beiden gesucht. In
jedem Laden haben sie nach ihnen gefragt. Nichts. Wie vom Erdboden verschluckt!
Nach einer Woche fuhren die anderen zurück nach Portugal. Der Wagen von
Christine, ein orange-roter Käfer, stand unbewegt immer noch an derselben
Stelle. Ich habe ihn dann abgeholt.« Sybille Winterfeld senkte den Kopf und
drehte einen Knopf an ihrem Mantel herum.
»Wie lange ist das jetzt her?«
»Zehn Jahre. Ich war damals hier auf dem Revier und habe eine
Vermisstenanzeige aufgegeben. Ich war nicht nur hier, ich habe eine
Privatdetektei beauftragt und noch eine spezielle Agentur, die sich für
Vermisste auf internationaler Ebene einsetzt. Alles umsonst. Es hat nur Geld
gekostet, mehr nicht! Aber der Beamte, der Herr Kaiser, sagte mir, er kümmert
sich persönlich darum. Leider starb Ihr Kollege vor drei Jahren an Krebs, und
seitdem werde ich hier nur noch wie eine Irre behandelt.«
»Wie alt war Ihre Schwester damals?«
»Zweiundzwanzig.«
»Ihr Freund blieb auch verschwunden?«
»Ja, aber was interessant ist, sie sind nicht die Einzigen, die auf
einem solchen Basar verschwanden.«
»Alle in Marokko?«
»Nein, eine andere deutsche Familie verschwand in Tunesien.«
»Und wer noch?«
»Niemand mehr, also niemand mehr so offensichtlich«, sagte Sybille
Winterfeld leise. »Aber
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