Totenpech
Nichterscheinen war.
Als Lina mitten in der Nacht aufwachte, griff sie sofort zu ihrem
Handy, in der stillen Hoffnung, dass auf dem kleinen Bildschirm ein verpasster
Anruf oder der Eingang einer SMS angezeigt war. Zu ihrer groÃen Enttäuschung war weder das eine
noch das andere eingegangen.
50. KAPITEL
Mallorca   Endlich
wieder auf der Insel, um dem Wahnsinn in Chester zu entkommen â den
Hochzeitsvorbereitungen ihrer Mutter â, war sie von einem Café ins andere
gegangen, hatte sich zwischendurch in ihren Leihwagen gesetzt und war ziellos
durch die Gegend von Pollença gefahren. Die Sonne schien kräftig am strahlend
blauen Himmel, und Aethel fing allmählich an, unter ihrer blonden Perücke zu
schwitzen. Nur ein Stielkamm verschaffte ihrer juckenden Kopfhaut
Erleichterung.
Am Ende des Tages stellte sie sich mit ihrem kleinen Twingo unter
einem Baum an den Ortseingang und wartete, ob der rote Sportwagen des Mannes,
der die Nofretete entgegengenommen hatte, an ihr vorbeifahren würde. In dem
kleinen Hotel, wo sie abgestiegen war, hatte sie vorsichtig nach dem Besitzer
eines solchen Wagens gefragt, jedoch als Antwort nur ein Kopfschütteln
erhalten.
Am Freitagabend fuhr Aethel Richtung Palma. Als sie nach fast einer
Stunde Fahrt auf der dunklen, unbelebten LandstraÃe zur HauptstraÃe Palmas kam,
die direkt am Meer entlangführte, hatte sie das Gefühl, wie durch einen
Geburtskanal ins Leben zu schlüpfen. Die Luft war warm, die Meeresbrise
erfrischend, und über Aethels Gesicht huschte das erste Mal seit Tagen ein
Lächeln der Zufriedenheit. Auf den StraÃen standen zwischen parkenden Autos
Trauben fröhlicher junger Menschen, die sich mit Alkohol auf den Abend
einstimmten und auf Aethel eine entspannende Wirkung hatten.
Für einen Augenblick vergaà sie sogar die unverschämten Erpressungen
ihres zukünftigen Gatten Lord Richmond, der unerbittlich versuchte, sich in ihr
Leben und in ihre Familie zu drängen. Dieser Mann schien es gewohnt, zu
bekommen, was er wollte. Aber auch Aethel war in der Hinsicht kein Kind von
Traurigkeit.
Die Jagd nach der verborgenen Schwäche des Gegners war eröffnet
worden, und wer letztlich als Gewinner daraus hervorging, würde sich noch
zeigen.
Ein lautes Hupen holte Aethel auf die StraÃe zurück. Endlich sah sie
auf der rechten Seite die beleuchtete Domkirche La Seu ,
die zu den vier schönsten Kirchen der Welt zählt und der einzige
Orientierungspunkt in Palma für sie war. AnschlieÃend bog sie auf die kleine
StraÃe hoch zur Altstadt ein, wo sie ein paarmal im Kreis um den Kern
herumfahren musste, bis sie noch eine kleine Parklücke für den Twingo fand,
direkt vor dem Eingang der Gasse, die sie das letzte Mal zu dem Treffpunkt, dem
Restaurant La Clave , hochgegangen war. Doch das war
dieses Mal nicht Aethels Ziel. Sie wollte sich an diesem Abend in die
angesagtesten Bars von Palma stürzen. Beginnen wollte sie mit der Bar-Tabac.
Die Inbar, in der man seinen ersten Cocktail zu sich nahm, in der man die
ersten Kontakte knüpfte, von der aus man am späteren Abend weiterzog.
Die Bar war bereits so voll, dass Aethel sich zwischen den eng
zusammenstehenden Leuten durchpressen musste, dabei fremde Körper streifte und
ihr das eine oder andere zu groÃzügig aufgelegte Parfum in die Nase stieg, was
ihr höchst zuwider war. An der Bar bestellte sie sich einen Wodka-Orange,
stellte sich in eine freie Ecke, wo sie einen guten Ãberblick über die Menge
hatte, frei atmen und alle Männer um sich herum beobachten konnte.
Aethel hatte vergessen, dass sie eine blonde Perücke trug, dazu
einen kurzen Minirock, ein knappes Oberteil und obendrein zur Tarnung noch
stark geschminkt war, was den einen oder anderen glauben lieÃ, dass sie darauf
aus war, jemanden für eine Nacht aufzureiÃen. Und so traf sie bei ihrem
Rundblick auf viele dunkle Augenpaare, die sie von oben bis unten gierig
musterten.
An der Bar standen drei Touristinnen, umringt von ein paar Spaniern,
und freuten sich über die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde, weil sie
blond und blauäugig waren.
Aber Aethel war nicht hier, um sich zu vergnügen, sondern um zu
arbeiten, um sich dem zu widmen, was ihr am meisten Freude bereitete. Stehlen.
Sie trank ihr Glas aus, passte den Moment ab, in dem sich der Weg
zum Ausgang etwas leerte, und verlieà die belebte Bar.
Die Stille drauÃen in den
Weitere Kostenlose Bücher