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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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geht’s dir denn so, Ruth?»
    «Gut. Und dir?»
    «Auch gut. Viel Arbeit.»
    Peter lehrt Geschichte am University College in London, wo Ruth ihren ersten Abschluss gemacht hat. Sie sieht das alles vor sich, den Blick hinaus auf staubige Platanen, am Gitter festgemachte Fahrräder, Londoner Busse und orientierungslose Touristen, die über den Gordon Square irren.
    «Du bist also immer noch am UCL?»
    «Ja. Was ist mit dir?»
    «Ich bin nach wie vor an der North Norfolk, grabe nach Knochen und streite mit Phil.»
    Peter lacht. «An Phil erinnere ich mich nur allzu gut. Ist er immer noch so scharf auf dieses ganze geophysikalische Spielzeug?»
    «Wir rechnen alle damit, dass er demnächst zum Roboter mutiert.»
    Peter lacht erneut, unterbricht sich dann aber abrupt. «Hör mal, Ruth. Ich habe das nächste Trimester frei und   …»
    «Was, du auch?», rutscht es ihr heraus.
    «Wie meinst du das denn?»
    «Ach, es ist nur   … Erik hat auch ein Sabbatical. Er kommt nächste Woche hierher.»
    «Erik! Der alte Wikinger höchstpersönlich! Dann seid ihr also immer noch in Kontakt?»
    «Ja.» Sie sagt es mit einem gewissen Trotz in der Stimme.
    «Tja, also, die Sache ist die   … Ich schreibe an einem Buch über Nelson.»
    «Über wen?!», ruft Ruth.
    Verwirrtes Schweigen am anderen Ende. «Horatio Nelson. Admiral Nelson. Weißt du denn nicht mehr, dass ich meine Doktorarbeit über die Napoleonischen Kriege geschrieben habe?»
    «Oh   … doch, natürlich.» Der neue Nelson in Ruths Leben hat sie den berühmtesten Träger dieses Namens vorübergehend vergessen lassen. Aber natürlich, er stammte ja auch aus Norfolk, zahllose Pubs sind nach ihm benannt.
    «Jedenfalls muss ich nach Burnham Thorpe. Sein Geburtsort, du weißt schon. Ich habe ein Häuschen dort in der Nähe gemietet, und da dachte ich, ich könnte auch mal bei dir vorbeischauen.»
    Ruth geht verschiedenes durch den Kopf. Er war doch sicher vorher schon in Burnham Thorpe, ohne bei ihr «vorbeizuschauen». Warum will er sie jetzt sehen? Wird seine Frau ihn begleiten? Geht es hier wirklich nur um Forschungsarbeiten? Und warum ruft er überhaupt an, nach so langer Zeit?
    Schließlich sagt sie: «Das wäre doch schön.»
    «Fein.» Peter klingt erleichtert. «Ich freue mich schon darauf, das Salzmoor wiederzusehen. Ich habe den Sommer, als wir den Henge im Schlamm gefunden haben, noch so gut in Erinnerung. Diese Hippies, die uns ständig mit Flüchen belegen wollten. Und der alte Erik mit seinen Geistergeschichten am Lagerfeuer. Weißt du noch, wie ich das eine Mal fast ertrunken bin?»
    «Ja.» Peter leidet an einem akuten Anfall von Nostalgie, die Symptome sind eindeutig, und Ruth weiß, dass sie darauf nicht einsteigen darf, weil sie sonst Gefahr läuft, selbst mit fortgerissen zu werden und im Treibsand der Vergangenheit unterzugehen.
    Peter seufzt. «Also gut, ich melde mich dann. Wahrscheinlichirgendwann nächste oder übernächste Woche. Bist du im Prinzip da?»
    «Ja, bin ich.»
    «Bestens. Bis dann.»
    «Bis dann.»
    Nachdenklich legt Ruth auf. Sie hat keine Ahnung, weshalb Peter sie besuchen will – sie weiß nur, dass die Vergangenheit sie zurzeit von allen Seiten bedrängt. Erst Erik, dann Cathbad und jetzt auch noch Peter. Wenn sie nicht aufpasst, findet sie sich bald selbst zehn Jahre zurückversetzt und geht wieder Hand in Hand mit Peter am Strand entlang, das Haar fünfzehn Zentimeter länger, die Taille zehn Zentimeter schmaler. Sie schüttelt den Kopf. Das Vergangene ist tot, das weiß sie als Archäologin besser als die meisten. Aber sie weiß auch, wie verführerisch Erinnerungen sein können.
    Der Regen trommelt noch immer an die Fensterscheiben. Ruth steht auf und streichelt Flint, der sich inzwischen mit festgeschlossenen Augen auf dem Sofa ausgestreckt hat und sie standhaft ignoriert. Sie sollte lieber nachsehen, ob Sparky nicht maunzend draußen vor dem Haus sitzt und hereingelassen werden will. Trotz Katzenklappe hat sie es doch lieber, wenn man ihr persönlich aufmacht. Ruth öffnet die Tür.
    Der Regen peitscht ihr entgegen und nimmt ihr die Sicht. Prustend wischt sie sich mit dem Ärmel die Augen. Dann sieht sie es. Sparky ist tatsächlich vor der Tür, doch sie maunzt nicht und gibt auch sonst keinen Laut von sich. Sie liegt auf dem Rücken. Mit durchschnittener Kehle.

10
    Nelson fährt ausnahmsweise einmal langsam. Der Regen hat kaum nachgelassen und verwandelt die Straßen in unberechenbare Stromschnellen, doch Nelson ist kein

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