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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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Autofahrer, der sich von schlechten Witterungsbedingungen einschüchtern ließe. Nein, er trödelt, weil er gerade bei Scarlets Eltern war und jetzt ein bisschen Zeit braucht, um sich davon zu erholen, bevor er aufs Revier zurückkehrt. Er hat den Eltern, Delilah und Alan Henderson, mitteilen müssen, dass sie mit den Ermittlungen kein Stück vorangekommen sind und die Polizei überdies beschlossen hat, den Garten hinter dem Haus der Familie mit Spürhunden zu durchsuchen.
In solchen Fällen waren es ja meistens die Eltern
– das hat er Ruth erzählt, und obwohl er sie damit auch schocken wollte, stimmt es nach seiner Erfahrung doch nur allzu oft. Bei einem seiner ersten Fälle ging es um ein vermisstes Kind in Lytham. Hunderte von Mannstunden gingen für die Suche drauf, die junge Mutter äußerte sich wortreich bei der Pressekonferenz und rührte alle Welt zu Tränen. Und dann hatte Nelson, damals noch ein junger, unerfahrener Polizist, ihr einen Routinebesuch zu Hause abgestattet und dabei einen seltsamen Geruch aus der Toilette im Untergeschoss bemerkt. Er forderte Verstärkung an, doch noch ehe die anderen eintrafen, hatte er die kleine Leiche bereits geborgen. Sie war in den Spülkasten gestopft worden. «Sie geht mir auf den Geist», hatte die Mutter ohne jedes Anzeichen von Reue erklärt. «Sie ist ein kleiner Satansbraten.» Sie sprach im Präsens. Das verfolgt ihn bis heute. Sein Einsatz damals hat ihm eine offizielle Belobigung eingebracht, doch er erinnert sich noch genau, dass er anschließend wochen- und monatelang nicht schlafen konnte und es ihn jedes Mal würgte beim Gedanken anden Gestank und den vom Wasser aufgeschwemmten kleinen Körper.
    Er will natürlich keine Möglichkeit ausschließen, aber im Grunde verdächtigt er Scarlets Eltern trotzdem nicht. Alan war ohnehin verreist, und Delilah   … Delilah ist ein spätes Blumenkind mit bloßen Füßen und wallenden Röcken. Sie raubt ihm den letzten Nerv, aber für eine Mörderin hält er sie nicht. Keine vorschnellen Schlüsse, ermahnt er sich. Das hat Derek Fielding, sein erster Chef, immer in seiner umständlichen Art zu ihm gesagt: «Keine vorschnellen Schlüsse, sonst ist ganz schnell Schluss mit lustig. Kapiert?» Nelson hatte durchaus kapiert, wollte Fielding aber nicht die Genugtuung geben, über das schwerfällige Wortspiel zu lachen – wahrscheinlich hatte der alte Sack deshalb so lange gebraucht, um ihn endlich zu befördern, trotz Belobigung. Aber in diesem einen Punkt hat er recht behalten. Ein Polizist darf keine vorschnellen Schlüsse über Personen oder Situationen ziehen. Delilah Henderson kann ihre Tochter durchaus getötet haben. Sie war am richtigen Ort, verfügte über die nötigen Voraussetzungen. Und immerhin hat es zwei Stunden gedauert, bis sie Scarlet als vermisst gemeldet hat. «Ich dachte, sie hätten einfach Verstecken gespielt», hat sie schluchzend erklärt. Nelson kann das zwar nicht gutheißen – was für eine Mutter merkt denn zwei Stunden lang nicht, dass ihr vierjähriges Kind verschwunden ist?   –, aber genau genommen passt es auch wieder zu dem nachlässigen Erziehungsstil von Leuten wie den Hendersons. Und als ihr schließlich klarwurde, dass Scarlet nicht mehr da ist, war sie ja weiß Gott verzweifelt genug. Auch heute war sie noch genauso verzweifelt, weinte und hielt die ganze Zeit ein altes Foto in der Hand, das Scarlet zeigte, herzzerreißend fröhlich auf einem rosa Fahrrad mit Stützrädern. Delilah hat das mit der Suche im Garten kaum registriert, sie hat einfach nur Nelsons Armumklammert und ihn angefleht, ihr Baby zurückzubringen. Nelson fährt inzwischen nur noch Schrittgeschwindigkeit, während die Scheibenwischer weiter gegen die Wassermassen ankämpfen. Manchmal hasst er seine Arbeit. Eigentlich brauchte er dringend eine Zigarette, aber es ist ja erst Januar und damit noch ein bisschen früh, um die guten Neujahrsvorsätze zu brechen.
    Als sein Handy klingelt, will er eigentlich gar nicht rangehen. Keineswegs aus Sicherheitsgründen   – Headsets sind seiner Meinung nach etwas für Weicheier   –, sondern weil er heute einfach keine weiteren Probleme mehr brauchen kann. Als er schließlich doch auf «Annehmen» drückt, hört er am anderen Ende einen geradezu unmenschlichen Laut, irgendetwas zwischen Schluchzen und Heulen. Er wirft einen raschen Blick auf das Display.
Ruth Galloway.
Großer Gott.
    «Ruth? Was ist passiert?»
    «Sie ist tot», wimmert Ruth.
    Nelson tritt endgültig auf

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