Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
Vom Netzwerk:
mit Liam, endgültig. Er sagt mir ständig, dass er mich liebt, aber er wird sich doch nie von Anne trennen. Jetzt steht sie kurz vor einer Operation, und er darf sie auf keinen Fall aufregen. Wahrscheinlich lässt sie sich nur Fett absaugen oder so was, aber Hauptsache, er kann die Entscheidung noch weiter hinauszögern. Silvester war furchtbar, Liam hat mich die ganze Zeit in irgendwelche dunklen Ecken gezerrt und mir beim Fummeln erklärt, wie sehr er mich liebt, um gleich darauf wieder irgendwo mit Anne im Arm herumzustehen und von dem Hausausbau zu erzählen, den sie planen. Und Phil wollte ständig wissen, ob ich jetzt endlich einen Freund habe. So ein Arsch. Das macht er nur, weil ich nicht mit ihm ins Bett wollte. Und dann auch noch Phils furchtbare Frau, die mir erzählt, ich hätte eine violette Aura. Das finde ich eine Frechheit. Ich kann Violett nicht ausstehen, das beißt sich mit meinen Haaren.»
    Sie schweigt kurz, um ein Stück Brot zu essen, und schüttelt ihr rotgoldenes Haar, dass es im Nachmittagsdämmer schimmert. Ruth fragt sich, wie es wohl ist, so schön zu sein. Ziemlich anstrengend, nach allem, was Shona erzählt. Aber sicher auch aufregend – allein die Vorstellung,dass jeder Mann, dem man begegnet, mit einem ins Bett will! Im Geiste geht Ruth die Liste der Männer in ihrem Leben durch: Phil, Erik, ihre Studenten, Ed von nebenan, David, Harry Nelson. Sie kann sich nicht vorstellen, dass auch nur einer davon sich vor Verlangen nach ihr verzehrt. Die Vorstellung ist absurd und irgendwie verstörend   …
    «Ruth!»
    «Was denn?»
    «Ich habe dich gefragt, was du an Silvester gemacht hast.»
    «Ach, weißt du, ich war ja erkältet, wie ich dir gesagt habe, und wollte eigentlich zu Hause bleiben. Aber die Leute nebenan haben eine Party gemacht, und die Musik war so laut, dass ich schließlich doch rübergegangen bin.»
    «Tatsächlich? Und, wie war’s?»
    «Ziemlich langweilig. Der Nachbar hat mich die ganze Zeit mit archäologischen Fragen genervt.»
    «War jemand Interessantes da oder nur lauter glückliche Pärchen?»
    «Vorwiegend Pärchen. Und noch ein anderer Nachbar, David, der Vogelschutzwart.»
    «Oh.» Die bloße Erwähnung eines ungebundenen Mannes lässt Shona aufhorchen, und sie fährt sich unwillkürlich mit den Fingern durchs Haar, sodass es ihr noch verführerischer ins Gesicht fällt. «Und wie ist der so?»
    Ruth denkt einen Moment nach. «Ganz nett. Ruhig. Interessant, wenn auch ein bisschen vogelbesessen.»
    «Wie alt?»
    «Etwa in meinem Alter. Um die fünfzig.»
    «Ruth! Du bist doch noch nicht mal vierzig.»
    «Im Juli schon.»
    «Das müssen wir unbedingt feiern», sagt Shona leichthin und feuchtet die Fingerspitze an, um ein paar Käsekrümelaufzutupfen. «Was hat es eigentlich mit deiner höchst geheimnisvollen Arbeit für die Polizei auf sich?»
    «Wer hat dir denn davon erzählt?»
    «Phil.»
    «Ach, so geheimnisvoll ist das gar nicht. Ein Polizist hat mich gebeten, mir ein paar Knochen anzuschauen, die er gefunden hat. Aber sie waren nicht von heute, sondern aus der Eisenzeit.»
    «Wieso hat er denn gedacht, sie wären von heute?»
    «Er sucht die Leiche eines kleinen Mädchens, das vor zehn Jahren verschwunden ist.»
    Shona stößt einen Pfiff aus. «Ist nicht gerade erst noch ein kleines Mädchen verschwunden?»
    Ruth nickt. «Ja. Scarlet Henderson.»
    «Bist du in den Fall etwa auch involviert?»
    Wieder zögert Ruth. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie Shona überhaupt davon erzählen will. Shona interessiert sich immer so sehr für alles, dass sie Ruth mit Sicherheit dazu bringen wird, mehr zu sagen, als sie eigentlich vorhatte. Nelson hat ihr erklärt, der Inhalt der Briefe sei vertraulich («Wir wollen schließlich nicht, dass die Presse Wind davon bekommt»). Andererseits ist Shona die Fachfrau für Literatur.
    «Ein bisschen, ja. Es gibt da ein paar Briefe   …»
    Shona beugt sich vor – das geschriebene Wort interessiert sie unweigerlich.
    «Briefe?»
    «Ja. Ein paar nach dem Verschwinden des ersten Kindes, und jetzt, nachdem Scarlet Henderson vermisst wird, ein weiterer. Die Polizei glaubt, dass da vielleicht ein Zusammenhang besteht.» Hat sie bereits zu viel gesagt?
    «Und was steht in den Briefen?»
    «Ich fürchte, das darf ich dir nicht sagen.» Ruth fühlt sich äußerst unwohl unter Shonas neugierigem Blick.
    Shona mustert sie, als überlegte sie, wie viel sie wohl aus ihr herausbekommen kann. Dann scheint sie sich anders zu besinnen,

Weitere Kostenlose Bücher