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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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Wie kann danach auch nur irgendetwas so sein wie vorher? Doch natürlich war es anders gekommen. Sie war nicht schwanger, und jetzt wird es vermutlich auch nicht mehr dazu kommen.
    Peter hat ein Kind, er wird die Gefühle kennen, die Nelson beschrieben hat. Ob Peter wohl für seinen Sohn töten würde? Erik hat sogar drei Kinder, die alle längst erwachsen sind. Ruth erinnert sich, dass er einmal gesagt hat, man könne Kindern kein größeres Geschenk machen als die Freiheit. Eriks Kinder leben in London, New York und Tokio, sie sind ganz offensichtlich frei. Aber sind Erik und Magda auch frei von ihnen? Kann man je wieder derselbe Mensch sein, wenn man einmal Kinder hat?
    Ruth steht auf, um sich einen Tee zu machen. Sie ist nervös und unruhig. Obwohl sie Erik versichert hat, es mache ihr nichts aus, allein zu bleiben, kann sie den Gedanken an Sparky und ihren furchtbaren, gewaltsamen Tod doch nicht verdrängen. In der Eisenzeit ließen die Menschen Tote zurück, als Botschaften an die Götter. Hat der Mörder die tote Sparky benutzt, um Ruth eine Botschaft zu senden? Hat auch der Katzenkadaver eine Grenze markiert? Keinen Schritt weiter, sonst töte ich dich, so wie ich Scarlet und Lucy getötet habe. Ruth fröstelt.
    Flint zwängt sich durch die Katzenklappe herein, und sie nimmt ihn auf den Arm und knuddelt ihn. Er lässt dieZärtlichkeiten über sich ergehen, hält den Blick aber die ganze Zeit erwartungsvoll auf den Boden gerichtet. Kind-Ersatz, denkt Ruth. Nun, immerhin hat sie einen.
    Sie lässt die Arbeit Arbeit sein und setzt sich vor den Fernseher.
Have I Got News for You
läuft, doch sie kann sich weder auf Ian Hislops geistreiche Witze noch auf Paul Mertons surreale Komik konzentrieren, sondern muss immer nur an Scarlet Hendersons Eltern denken, die in ihrem chaotischen Haus auf ihre Tochter warten. An Delilah, die sich danach sehnt, ihr Kind noch einmal in die Arme zu schließen, die sich vielleicht sogar wünscht, es wieder in ihrem Bauch zu haben, wo es wenigstens sicher war.
    Erst als sie sich ans Gesicht fasst, merkt Ruth, dass sie weint.

 
    Da ist ein neues Geräusch in der Nacht. Es kommt immer wieder. Drei Rufe, einer nach dem anderen, ganz tief und hohl. Der dritte Ruf ist jedes Mal der längste und macht ihr am meisten Angst. An die anderen Geräusche der Nacht hat sie sich längst gewöhnt, an das Schnüffeln und Rascheln und auch an den Wind, der eine ganz eigene Stimme hat wie lautes, böses Gebrüll. Manchmal hat sie das Gefühl, der Wind werde gleich durch die Falltür heulen und sie auf seinem kalten, bösen Atem davontragen. Sie stellt sich vor, wie er sie erfasst, sie hoch in die Luft hebt, wie sie dann dahintreibt durch die Wolken und auf Häuser und Leute hinunterschaut. Seltsam, sie weiß ganz genau, was sie sehen würde: ein kleines, weißes, quadratisches Haus mit einer Schaukel im Garten. Manchmal sitzt ein kleines Mädchen auf der Schaukel, schwingt hin und her und lacht, während es immer höher hinauffliegt. Wenn sie die Augen zumacht, sieht sie das Haus ganz deutlich, und es ist schwer zu glauben, dass sie nicht tatsächlich in den Wolken dorthin geflogen ist und auf das Mädchen und die Schaukel und die ordentlichen Beete mit den bunten Blumen hinabgeschaut hat.
    Einmal hat sie ein Gesicht am Fenster gesehen. Ein Monster. Grauweiß mit schwarzen Streifen auf beiden Seiten. Sie ist ganz still sitzen geblieben und hat darauf gewartet, dass das Monster sie entdeckt und auffrisst. Aber das hat es nicht getan. Es hat nur ein bisschen an den Gitterstäben geschnüffelt mit seiner feuchten, schwarzen Nase, die glänzte wie ihre guten Schuhe früher. Dann war es wieder weg, und seine Schritte haben fürchterlich auf der Scheibe geklappert. Sie hat es nicht wiedergesehen.
    Manchmal ist das neue Geräusch ganz nah. Das passiert immer dann, wenn die Nacht besonders dunkel und besonders kalt ist. Dann wacht sie davon auf und zittert und zieht die Decke enger um sich. Einmal, zweimal, dreimal hört sie es. Sie weiß nicht, warum, aber sie glaubt, dass es vielleicht nach ihr ruft. Einmal hat sie geantwortet: «Ich bin hier! Lass mich raus!» Doch der Klang ihrer eigenen Stimme macht ihr am allermeisten Angst.

14
    Am nächsten Morgen bringt Nelson die tote Sparky zurück. Er steht mit dem unheilvollen Pappkarton auf der Schwelle wie ein Vertreter, der sich nicht ganz sicher ist, wie man ihn empfangen wird.
    Ruth, noch ganz verschlafen vor dem ersten Kaffee, blinzelt ihn verständnislos

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