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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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Menschenknochen?»
    «Ich denke schon, ja. Aber   …»
    «Was aber?»
    «Sie wurden nicht vergraben.»
    Nelson hockt sich neben sie. «Wie meinen Sie das?»
    «Ein Begräbnis ist immer ein gewaltsamer Eingriff. Es zerstört die Bodenschichten, bringt alles durcheinander. Sehen Sie.» Sie deutet auf die Ränder des Lochs. «Da unten beginnt das Grab. Unter all diesen Bodenschichten. Die Knochen lagen hier auf dem Boden und wurden im Lauf der Jahrhunderte von der Erde bedeckt.»
    «Im Lauf der Jahrhunderte?»
    «Ich denke, sie stammen aus der Eisenzeit. So wie die anderen auch.»
    «Und warum denken Sie das?»
    «Da liegen noch ein paar Scherben, die mir sehr nach Eisenzeit aussehen.»
    Nelson mustert sie einen endlosen Augenblick lang, dann richtet er sich auf und ruft den wartenden Tatortbeamten zu: «Okay, Jungs, das war’s. Die Show ist vorbei.»
    «Was ist es denn nun, Boss?», fragt einer der Männer. Er sagt allen Ernstes
Boss
! Ruth traut ihren Ohren nicht.
    «Die gute Nachricht ist, es handelt sich um eine Leiche. Die schlechte: Sie ist schon seit circa zweitausend Jahren tot. Also los. Abmarsch.»
     
    Eine Stunde später hat Ruth die Knochen geborgen und sie zur genauen Datierung ins Labor der Universität geschickt. Sie ist sich auch ohne Datierung sicher, dass sie aus der Eisenzeit stammen – aber was hat das alles zu bedeuten?Die Leiche lag nicht im Torfboden, es sind also nur noch Knochen übrig. Lassen sich diese Knochen mit der anderen Toten in Verbindung bringen, die sie am Rand des Salzsumpfs gefunden haben? Und gibt es noch eine andere Verbindung zwischen Knochen, Leiche, Dammweg und Henge? Ruth schwirrt der Kopf, trotzdem versucht sie tapfer, sich auf ihren Kräutertee und das Gespräch mit Scarlets Eltern zu konzentrieren, die sie Delilah und Alan nennen soll.
    Sie weiß nicht genau, wie es eigentlich gekommen ist, dass sie jetzt mit einem Steingutbecher in der Hand auf diesem klapprigen Stuhl in der chaotischen Küche der Hendersons sitzt. Doch Nelson war sehr schnell bereit, die Einladung auch in ihrem Namen anzunehmen.
    «Das würde uns sehr freuen», hat er gesagt. «Vielen Dank, Mrs.   Henderson.»
    «Delilah», hat Mrs.   Henderson ihn müde verbessert.
    Und so sitzen sie nun in der Küche und hören zu, wie Alan Henderson über Wassergüsse doziert, während Ocean, das jüngste Kind der Hendersons, im Hochstuhl quengelt.
    «Sie vermisst Scarlet», erklärt Delilah und klingt dabei so resigniert, dass Ruth es kaum ertragen kann.
    «Das glaube ich», murmelt sie. «Wie alt ist denn   … Ocean?»
    «Zwei. Scarlet ist vier, Euan und Tobias sind sieben, und Maddie ist sechzehn.»
    «Sie sehen viel zu jung aus, um eine sechzehnjährige Tochter zu haben.»
    Delilah lächelt, und einen Moment lang erstrahlt ihr bleiches Gesicht hinter dem Vorhang der langen Haare. «Ich war selbst erst sechzehn, als ich sie bekommen habe. Sie ist natürlich nicht von Alan.»
    Ruth schaut aus dem Augenwinkel zu Alan hinüber, derNelson inzwischen einen Vortrag über Kraftmeridiane hält. Nelson schaut auf, und ihre Blicke treffen sich.
    «Haben Sie auch Kinder?», fragt Delilah Ruth.
    «Nein.»
    «Wissen Sie, wovor ich mich fürchte?», sagt Delilah unvermittelt mit heller, gepresster Stimme. «Dass mich eines Tages jemand fragt, wie viele Kinder ich habe, und ich antworte ‹vier› und nicht ‹fünf›. Weil ich dann weiß, dass es vorbei ist, dass sie tot ist.» Sie weint stumm, die Tränen laufen ihr einfach über die Wangen.
    Ruth weiß nicht, was sie sagen soll. Sie bringt nicht mehr heraus als: «Es tut mir so leid.»
    Delilah beachtet sie gar nicht. «Sie ist doch noch so klein, so wehrlos. Ihr Handgelenk ist so schmal, dass sie immer noch ihr Taufarmband trägt. Wie kann ihr jemand etwas antun wollen?»
    Ruth muss an Sparky denken, die auch klein und wehrlos war und trotzdem brutal getötet wurde. Sie versucht, sich ihren eigenen Schmerz tausendfach potenziert auszumalen.
    «Ich weiß es nicht, Delilah», sagt sie mit heiserer Stimme. «Aber DCI Nelson tut alles, was in seiner Macht steht, das kann ich Ihnen versichern.»
    «Er ist ein guter Mensch.» Delilah fährt sich mit der Hand über die Augen. «Er hat eine kraftvolle Aura. Wahrscheinlich hat er einen starken geistigen Führer.»
    «Ganz bestimmt.»
    Ruth spürt Nelsons Blick auf sich. Alan hat seinen Redefluss kurz unterbrochen und rollt sich mit zitternden Fingern eine Zigarette. Delilah gibt Ocean eine Reiswaffel, die die Kleine jedoch

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