Totenplatz
Mädchen bekannt war. Wir warteten.
Drei Augenpaare richteten sich auf die Erscheinung, die immer noch zögerte, abwartete und dabei ihren Körper nie so richtig unter Kontrolle bekam.
Er bewegte sich in seinem Innern. Mal nahm er besser erkennbare Umrisse an, dann verwischten sie wieder, als wollten sie sich mit den hellen Sonnenstrahlen vereinigen.
Ich hoffte auf mein Kreuz. Dessen Kraft mußte einfach reichen, den Drang des Geisterkindes noch zu verstärken.
Cynthia bewegte sich.
Ich atmete auf, als sie auf die Terrasse zulief. Dabei nahmen wir es hin, daß kein einziger Laut zu hören war. Wenn wir jemals einen Geist erlebt hatten, so war das Nähergleiten dieses Kindes dafür der beste Beweis.
Helen McBain konnte ihren Blick ebenfalls nicht von dem Kind abwenden. Site war von diesem Anblick fasziniert. Was sich in ihrem Kopf abspielte, war sicherlich ungeheuerlich. Die Gedanken mußten sich dort überschlagen, denn sie erlebte etwas, das allen Naturgesetzen widersprach. Und doch dachte sie an den Henker, denn sie flüsterte: »Er ist nicht da. Cynthia hat auch noch ihren Kopf. Er sitzt wieder auf dem Körper. Mein Gott, das ist unbegreiflich.«
Im Prinzip war es das auch. Aber wir wollten es auch nicht begreifen, vorerst nicht. Wir nahmen einfach hin, daß dieses kleine Wesen auf uns zukam.
Die Puppe lag noch immer auf dem Tisch. Am schmaleren Rand blieb Cynthia stehen.
Wir sahen sie deutlich, aber wir konnten sie auch ›riechen‹. Der Geistkörper strahlte keinen Leichengeruch ab, hier war etwas anderes, das auf uns zufloß.
Es war der Geruch einer anderen Welt. Etwas Kaltes, sehr Dichtes wehte auf uns zu. Mir fiel der Vergleich mit einem dichten Nebel ein, doch es war keiner zu sehen. Nur Cynthia war von diesem unsichtbaren Hauch umgeben. Für uns hatte sie keinen Blick. Sie stand noch immer am Rand des Tisches, starrte einzig und allein ihre Puppe an und streckte plötzlich die Hand danach aus, ohne sich um das Kreuz zu kümmern, das Kopf und Körper verband.
Cynthia wollte die Puppe an sich nehmen, doch ich war schneller. Ich legte meine Hand auf das Kreuz und auf einen Teil der Puppe, und das Geisterkind verstand.
Cynthias Finger zuckten zurück.
»Okay«, flüsterte ich. »Du kannst deine Puppe bekommen. Zuvor aber wollen wir wissen, warum du dich hier immer zeigst und auch ohne deine Eltern und deinen Bruder bist. Was ist mit dir geschehen? Was hat man mit euch gemacht?«
Das Mädchen blickte mich an, und ich konzentrierte mich zum erstenmal auf seine Augen, die so einen traurigen und auch verlorenen Ausdruck angenommen hatten.
»Mit uns?«
Sie hatten gesprochen, und wir hatten sie auch verstanden, trotzdem lauschten wir der Stimme nach, die zwar etwas Menschliches an sich hatte, doch als solche nicht angesehen werden konnte. Sie war irgendwie anders. Flirrend und sehr hoch. Bei ihr hörte es sich an, als hätte noch eine zweite Person gesprochen, die irgendwo im unsichtbaren Hintergrund verborgen war.
»Ja, mit euch.«
»Wir sind tot.«
»Nein, Cynthia, ihr seid nicht tot. Nicht so tot, wie man es im allgemeinen ist.«
»Der Henker hat uns geköpft.«
»Deine Eltern…?«
»Ja!« zischte es. »Sie, meinen Bruder William und auch meine Eltern. Wir haben nichts Unrechtes getan, aber wir mußten sterben, weil es andere so wollten, weil wir den falschen Glauben hatten. Mein Vater war ein stolzer und mutiger Mann. Seine Vorfahren haben an den Kreuzzügen teilgenommen. Sie sind in Jerusalem gewesen, sie waren Templer, sie haben das Heilige Grab verteidigt, aber man hat es ihnen nie gedankt. Die Kirche wollte die Templer nicht mehr. Man hat Jagd auf sie gemacht, aber nicht alle gefunden. Uns fand man zuerst nicht. Doch der Henker stellte uns eine Falle. Er war der Templer-Jäger. Ihm gehörte der Totenplatz, wo man uns richtete. Damals hat es dort einmal ein Dorf gegeben, da haben wir auch gelebt und viele Freunde empfangen. Das aber hat man uns geneidet. Man fand heraus, daß mein Vater noch immer Verbindungen zu seinen alten Freunden hatte. Deshalb schickte man uns den Henker. Niemand hat sein Gesicht gesehen. Er muß ein furchtbarer Mensch gewesen sein mit besonderen Kräften. Wenn er kam, war das Grauen groß, er verbreitete Todesangst, und auch wir konnten ihm nicht entfliehen. Ich erinnere mich daran, als mein Vater uns eines Tages offenbarte, daß der Henker auch uns besuchen würde.«
»Und warum seid ihr nicht geflohen?«
Das Geisterkind hob die Schultern. Es reagierte hier
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