Totenplatz
auch Körper, als hätte sich der Geist darin gefestigt. Ich weiß nicht, warum und wieso dies geschehen ist, aber es führt kein Weg daran vorbei. Ich halte hier etwas Besonderes und auch Unerklärliches fest, und ich merke, wie sich Cynthia quält. Mein Gott, ich fasse es nicht…« Die Frau konnte nicht mehr reden, wahrscheinlich wurde ihr jetzt erst richtig bewußt, mit welch einem Phänomen sie umging.
Ich stand auf. Gleichzeitig nahm ich das Kreuz weg. Puppe und Kopf lagen wieder getrennt. Ich befürchtete, daß sich die Gestalt des Kindes auflösen würde, aber sie blieb.
»Du wirst deine Puppe bekommen«, sagte ich, »aber wir alle möchten hier wissen, warum der Henker erschienen ist und dich noch einmal geköpft hat.«
Nach dieser Frage löste sich Helen von der Erscheinung. Cynthia wußte die Antwort. »Er ist verflucht worden. Es geht ihm wie uns. Er hat uns nicht richtig töten können. Immer wenn wir erscheinen, wird er kommen, um es noch einmal zu versuchen. Dieser Totenplatz zieht ihn an. Er hat alle getötet, richtig getötet, nur uns nicht. Das läßt ihn nicht ruhen, deshalb versucht er es immer wieder.«
»Nur bei euch?«
»Ja. Vielleicht auch bei denjenigen, die uns beschützen wollen. Aber das kann ich nicht sagen.«
Damit waren wir gemeint und möglicherweise auch die Personen, die sich sehr bald auf dem Grillplatz aufhalten würden. Ich merkte, wie mir die Kehle etwas enger wurde. Allmählich blickte ich durch. Suko erging es ebenso, wie ich ihm ansah.
Der Henker würde immer kommen und töten. Er kannte kein Pardon, er war verflucht durch höllische Mächte. Nur wenn er tatsächlich vernichtet wurde, wie auch immer, dann würde auch die Familie Ashford ihren Frieden bekommen.
Die Ashfords waren zwar durch diesen Henker geköpft worden, aber sie hatten sich vorbereiten können, nicht zuletzt durch einen gewissen Hector de Valois. Meiner Ansicht nach trug er indirekt die Schuld an diesem Zwischenzustand des Henkers und auch der Familie.
»Die Puppe…«
Ich lächelte, als ich die Worte hörte. Sie war für das Mädchen das ein und alles. Deshalb nickte ich. »Du kannst sie an dich nehmen. Sie ist auch zurückgeblieben, aber auch sie wird den Henker anlocken, so wie deine Eltern und dein Bruder.«
»Das weiß ich.«
»Dann wirst du jetzt gehen?«
»Ja, das werde ich.«
»Wohin?«
»Ich muß zu ihnen. Sie warten auf mich. Sie haben mich nicht gern gehen lassen. Ich will auch zu meinem Bruder. Es wird immer und immer wieder geschehen. Er kann nicht endgültig sterben. Der Druck auf ihn ist zu groß. Er hat versagt, und er muß dieses Versagen wieder…wieder…«
Wir hörten sie zwar noch, aber wir verstanden nicht mehr was Cynthia sagte.
Ihr Körper löste sich vor unseren Augen auf. Für einen Moment kam uns die Sonne noch stärker vor, als hätten ihre Strahlen das Kind zerstört.
Dann war Cynthia verschwunden. Wir aber blieben zurück.
Sprachlos und verwirrt…
***
Es war Mrs. McBain, die sich als erste gefangen hatte. Kopfschüttelnd und sich beinahe wie eine Betrunkene bewegend kam sie auf ihren Platz zu und ließ sich nieder. Ihr Gesiebt war beinahe so bleich wie das des verschwundenen Mädchens. Sie schüttelte immer wieder den Kopf, bis sie uns anschaute.
»Warum sagen Sie denn nichts?«
»Was sollte es zu sagen geben?« fragte Suko zurück.
»Eine Lösung!«
»Die werden wir hier nicht finden.«
Die Frau trank einen Schluck Saft. Dabei dachte sie über Sukos Worte nach. Insekten umsummten uns. Bienen waren auf der Suche nach Blüten, von denen es genügend hier gab. Die Tiere mußten sich in diesem Garten fühlen wie in einem Paradies.
»Nun ja, hier werden wir sie wohl nicht finden. Das heißt, wir müssen zu diesem Totenplatz.«
»Wir müssen hin!«
Helen begriff schnell. »Moment mal, Suko, Sie meinen, daß ich hier allein zurückbleiben soll?«
»Das denke ich mir.«
»Nein!« sagte sie und sprang dabei heftig auf. »Nein, das kann niemand von mir verlangen. Nicht daß ich mich zu Tode ängstigen würde, aber können Sie denn nicht begreifen, daß ich mich unter all den Menschen sicherer fühle, als allein in diesem Haus?«
»Das schon«, gab Suko zu.
Es war ihr nicht genug, denn Helen wandte sich an mich. »Was sagen Sie dazu, Mr. Sinclair?«
Ich hob die Schultern. »Begreifen kann ich Sie schon, aber wir müssen damit rechnen, daß es verdammt gefährlich werden kann. Wir wissen jetzt, daß es einen immerwährenden Kampf gibt. Um ihn zu stoppen,
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