Totenplatz
Augen.
In ihrer Nähe flatterte etwas!
Margret verzog wütend das Gesicht. Sie mochte dieses Geräusch nicht.
Es störte sie. Die Frau wollte ihre Ruhe, aber der Wunsch wurde nicht erhört.
In das Flattern mischten sich andere Laute. Schrill, kurz, kräftig und schreiend.
Plötzlich erwischte ein Schlag den Hutrand. Der Hut selbst verlor seinen Halt und flog ihr vom Kopf. Margret schnappte nach der Kopfbedeckung, griff jedoch ins Leere und wurde sauer. Die Motorik ihrer Bewegungen stimmte einfach nicht. Die Macht des Alkohols über den Menschen behinderte sie schon. Sie war zu langsam, ärgerte sich auch darüber.
Das Glas, das sie neben sich auf den Klotz gestellt hatte, war umgekippt.
Der Inhalt hatte sich auf dem Boden verteilt.
Sie wäre am liebsten aufgestanden und fortgelaufen. Das wiederum brachte Margret nicht fertig. Da lag das Blei in den Beinen, das sie müde gemacht hatte. So schaffte sie nur, den Kopf zu heben und nach vorn zu schauen.
Da erst sah sie den Störenfried.
Es war ein Vogel!
Pechschwarz und wegen der ausgebreiteten und sich bewegenden Flügel noch mächtiger wirkend. Sie sah auch den langen, sehr kräftigen, etwas nach vorn gebogenen und spitzen Schnabel, der aussah, als lägen zwei Messerspitzen aufeinander. Für einen winzigen Moment starrte sie in die Augen, die ihr vorkamen wie die Augen eines Mörders.
Er war groß, er war häßlich, er tanzte vor ihr in der Luft und nahm Margrets gesamtes Blickfeld ein. Für sie war er ein Monstrum, und die Frau riß im Sitzen die Arme hoch. Auch diese Bewegung war nicht so schnell wie im nüchternen Zustand, bei ihr ging eben alles langsamer.
Im Gegensatz zu den Reaktionen des Vogels.
Er biß zu!
Margret spürte etwas an ihrem rechten Zeigefinger. Da war plötzlich alles taub. Gleichzeitig flog der Vogel weg, er schrie dabei seinen Triumph hinaus, und die Frau senkte die Arme.
Natürlich auch den rechten.
Sie schaute dorthin, wo sich ihr Finger befand oder befunden hatte, denn von ihm sah sie nur mehr die Hälfte.
Die andere war weg. Abgebissen. Sie klemmte im Schnabel des Vogels.
Mit diesem Wissen erwischten sie der Schmerz und der Schock. Beides traf gleichzeitig zusammen, und sie sah auch das Blut, das aus dem halben Finger spritzte.
Wie gebannt blieb die Frau sitzen. Und dann schrie sie, schrie und schrie…
***
Was hatte Hector de Valois ›versprochen‹, Rache? Vor oder nach dem Ende der Familie?
Ich konnte es drehen und wenden, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Diese Templer-Familie war nicht tot, zumindest nicht richtig, sie lebte in einer Scheinwelt weiter, die sie nun verlassen hatte, um es zur endgültigen Abrechnung mit dem Henker kommen zu lassen, der sich selbst nicht gezeigt hatte.
Dafür sah ich die Eltern und die Kinder, die in den Strahlen der Sonne wie neblige Gestalten standen, als wären sie von Himmel herabgefallen.
Ich schaute sie an und spürte keine Fremdheit. Sie waren mir veitraut, als hätte ich schon immer mit ihnen zu tun gehabt. Der Begriff einer gewissen Verwandtschaft kam mi in den Sinn, gepaart mit einer Hilflosigkeit, die mir von ihnen entgegenströmte. Sie hatten sich auf Hector de Valois verlassen. Ihm allerdings war es nicht mehr ermöglicht worden, sein Versprechen in die Tat umzusetzen, und nun stand – Jahrhunderte später – jemand vor ihnen, den sie mit de Valois identifizierten, weil er eben das Kreuz besaß.
Der Gedanke daran zwang mich dazu, wieder einen Blick auf mein Kreuz zu werfen.
Es gleißte noch immer. Aber nicht weil ich es aktiviert hatte, es lag allein an den Strahlen der Sonne, die für diese Reflexe sorgten.
Durch die Sonne und auch durch die Strahlen des Kreuzes fühlte ich mich geschützt oder wohl, und ich wartete voller Spannung darauf, was mir diese vier zu sagen hatten. Sie standen da und wirkten beinahe wie Heiligenfiguren, die sich vom Licht der Sonne bescheinen ließen, um mir zu zeigen, in welch einer Helligkeit sie sich aufhielten.
»Ich bin nicht Hector de Valois«, sagte ich. »Ich bin es nicht. Ihr habt euch geirrt. Hector ist seit einigen Jahrhunderten nicht mehr am Leben. Ich kann es deshalb nicht sein.«
»Er hat etwas versprochen!« wisperte sie mir zu. »Ja, er hat etwas versprochen. Er war ein Templer, ebenso wie ich.« Jetzt wußte ich, daß Derek Ashford sprach. »Wir haben uns einige Male getroffen. Es waren immer heimliche Treffen, bei denen wir uns verhalten mußten wie Verschwörer. Hector bekämpfte das Böse, er war immer auf der
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