Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
später reden.«
Paul hatte unterdessen die Küche aufgeräumt und auch den verdreckten Flur wieder in Ordnung gebracht. Anna sah sogar ihre Fellschuhe, die sie bei der heutigen Tatortbegehung völlig ruiniert hatte, auf der Matte neben der Haustür stehen und musste unwillkürlich wieder an die junge Frau denken, die am Ufer der Elbe ermordet aufgefunden worden war. Sie ging ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn. Während des Sommers war das Falkensteiner Ufer ein beliebtes Ausflugsziel, aber um diese Jahreszeit und noch dazu bei Schneeregen verirrten sich höchstens ein paar Anwohner, die ihre Hunde ausführten, dorthin. Ein Hund war es auch gewesen, der die Tote im Unterholz nahe dem Leuchtturm aufgespürt hatte. Doch Anna schien es mehr als unwahrscheinlich,
dass die Frau auch auf dem sandigen Uferstreifen getötet worden war, da der Sand, wie ihre Schuhe bewiesen, von vielen Teerklumpen durchsetzt war, die sich sofort festsetzten. An der Kleidung der Toten hatte jedoch kein einziger geklebt.
»Klasse hast du das gemacht, Paul. An dir ist wirklich ein Hausmann verloren gegangen. Vielen Dank noch mal. Sag mal, hat sich Papa noch gar nicht gemeldet?«
»Hab’ ihn seit gestern Abend nicht gesehen, Mum. Ich musste heute doch erst zur zweiten Stunde in die Schule.«
»Hast du Hunger? Soll ich uns schnell ein paar Nudeln kochen?«
»Das wäre nicht schlecht«, entgegnete Paul, spähte in die Auffahrt und setzte hinterher: »Du, ich glaube, Paps ist da.«
Anna setzte gerade das Wasser für die Nudeln auf den Herd, als Tom in die Küche hereinkam und sie von hinten umarmte.
»Hattest du einen schönen Tag?«
Anna drehte sich um, ihre Augen funkelten zornig.
»Das sollte ich wohl besser dich fragen. Jedenfalls wüsste ich gern, warum du die Vergleichsarbeit von Ben vergessen hast.«
»Tut mir leid, ich konnte heute wirklich nicht früher aus der Druckerei fort, es gab ein Problem mit einer der Maschinen.«
Tom sah auf die Uhr und lächelte Anna an. »Aber wenn wir jetzt anfangen, bleibt uns immer noch genug Zeit.«
Anna riss eine Packung Nudeln auf und schaltete die Dunstabzugshaube ein, die geräuschvoll ihren Dienst aufnahm.
»Na, jedenfalls nimmst du es, wie meistens, leicht«, murmelte sie in das Rauschen hinein.
3
Als sich die Kommissarin am nächsten Morgen zur Arbeit aufmachte, musste sie ihre gefütterten Fellstiefel, trotz der Kälte, die an diesem Tag herrschte, notgedrungen zu Hause stehen lassen. Lukas Weber, Annas Kollege beim LKA, saß bereits im Büro und hatte sogar schon einen Kaffee für Anna aufgebrüht, als sie kurz darauf eintraf.
»Danke, Weber, klasse, dass Sie heute an mich gedacht haben«, bedankte sich Anna artig und holte ihre warmen Hausschuhe sowie ein Paar dicke Wollsocken, die sie sich sofort überzog, aus der untersten Schublade des Aktenschranks.
»Kalte Füße? Ihre hellen Stiefel sind bestimmt hinüber, oder? Rita hat gestern Abend ganz schön geflucht, als sie meine verdreckten Schuhe gesehen hat«, grinste Weber. »Bin froh, dass ich die nicht selbst wieder saubermachen muss. Ja, manchmal hat es auch sein Gutes, verheiratet zu sein.«
»Meine Güte, Weber. Soll das etwa heißen, dass Sie tatsächlich nicht dazu in der Lage sind, Ihren Dreck selbst wieder wegzumachen?«
Immer dasselbe mit den Männern, dachte Anna verärgert, fragte sich aber sofort, ob Weber wirklich die Ursache für ihre schlechte Laune war. Oder ihr Sohn Ben?
Immerhin bot der zurzeit mehr als genug Anlass, sich über ihn zu ärgern. Da waren einmal seine Musik, sein provozierendes Gehabe und auch sein Hang, sich über jedwede Regel des Familienlebens hinwegzusetzen. Doch Anna wusste, dass es ungerecht war, sowohl ihren ältesten Sohn als auch Weber für ihre miserable Stimmung verantwortlich zu machen. Auch das ausgelaufene Olivenöl und die Tatsache, dass Anna gestern einmal mehr nicht pünktlich hatte Feierabend machen können, waren nicht der wahre Grund.
Nein, zum Teufel, der wahre Grund war allein Toms Verhalten! Er war schuld daran, dass Anna diesen Tag mit einer Wut im Bauch begonnen hatte, die so groß war, dass sie Mühe hatte, sich voll und ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Selbst jetzt brauchte sie nur daran zu denken, dass Tom gestern Abend wieder einmal viel später als vereinbart nach Hause gekommen war, um auf hundertachtzig zu sein. Und dann das freundliche Lächeln, mit dem er über seine Unzuverlässigkeit hinweggegangen war. Eigentlich hätte nur noch gefehlt, dass Tom ihr,
Weitere Kostenlose Bücher