Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
Handbuch der griechischen Mythologie, dass wir als Sterbliche den Kontakt zu den Göttern langsam und
überaus sorgsam angehen müssen. Schließlich will ich weder geblendet noch verflucht werden, also bitte ich Dich um etwas Geduld.
Außerdem habe ich nur gesagt, dass mir Dein Gesicht gefällt, mehr nicht. Dabei ist ja nicht einmal klar, ob es tatsächlich echt ist oder ob darin nicht jemand mit einem scharfen Skalpell nach Deinen Wünschen herumgeschnippelt hat. Und um den Rest von Dir beurteilen zu können, müssten wir uns schon sehen.
Arbeitest Du vielleicht als Ärztin?
Fragt sich
Sebastian.
Inzwischen war Günther Sibelius ebenfalls in Annas Büro gekommen. »Holen Sie sofort Marc Hellweg her«, wies er Weber an, nachdem er die zweite Nachricht von »ohne Nick« in Annas Posteingang gelesen hatte, um sich nur wenige Minuten später dann direkt an den Computerspezialisten zu wenden.
»Sehen Sie zu, dass Sie etwas über die Identität des Teilnehmers herausbekommen, Marc. Klemmen Sie sich sofort dahinter!«
Unterdessen konzentrierten sich Anna Greve und der Psychologe bereits auf ihre nächste Antwort.
»Wir müssen versuchen, ihn ein wenig mehr aus der Reserve zu locken, indem wir ihm Fragen stellen, die Astartes Interesse an seiner Person signalisieren«, sagte Mettmann.
Anna schrieb:
Nein, lieber Sebastian, mit kranken Menschen habe ich nichts am Hut, sondern, als Erzieherin, mit kleinen. Und was machst Du so? Bist Du ein professioneller Geschichtenerzähler, oder womit verdienst Du Dir Deine Brötchen? Aber was ist nun mit meinem Rätsel? Solltest Du tatsächlich dermaßen ängstlich sein, dass Du nicht einmal den Versuch wagen willst, es zu lösen und damit meine andere Seite kennenzulernen? Ich habe nämlich das Gefühl, dass es eine Leichtigkeit für Dich wäre, die richtige Antwort zu finden. Bist Du denn kein bisschen neugierig, mehr von mir zu erfahren? Also los!
Erwartungsvoll
Astarte.
Diesmal mussten die Beamten nicht lange auf eine neue Nachricht von »Sebastian« warten. Er schrieb:
Liebe »Astarte«,
sag mir, was treibt eine Göttin überhaupt »ins Netz«? Und könnte sich eine solche, die, wie wir aus den Überlieferungen wissen, zwei Gesichter hat, eventuell für etwas so Banales wie Wassersport interessieren? Denn das ist es, was ich am liebsten mache. Leider habe ich es nie geschafft, damit dauerhaft ins professionelle Lager zu wechseln. Deshalb habe ich auch einen Brotjob, der mich ziemlich viel in der Weltgeschichte unterwegs sein lässt und mir weder Zeit noch Muße für zufällige Begegnungen mit charmanten Damen wie Dir lässt…
Geht es Dir ebenso? Aber sag mal, gibt es denn auf dem Olymp tatsächlich keine spannenden Männer mehr?
Liebe Grüße von
Sebastian.
P.S. Deine gute Seite kann ich mir langsam vorstellen, wie aber sieht Deine dunkle aus? Richtet sie sich gegen die anderen oder eher gegen Dich selbst? Was willst Du mir anvertrauen?
Eine letzte Frage: Wäre es nicht langsam an der Zeit, Dich zu erkennen zu geben und mit Deinem richtigen Namen zu unterschreiben?
Hallo Sebastian,
Wassersport? Na ja, ich schwimme sehr gerne, falls Du das meinst.
Doch warum so geheimnisvoll? Welche Art von Brotjob hält Dich denn nun so in Atem, dass Dir nicht einmal die Zeit bleibt, ab und an unter die Leute zu gehen?
Liebe Grüße von
Astarte.
P.S. Das, was mich »ins Netz« gehen ließ, ist kompliziert und kaum in einem Satz zu beschreiben. Doch es hat mit meinen Wünschen und einem Mann zu tun, dem es egal geworden ist, ob ich neben ihm liege oder nicht. Was allerdings nicht bedeutet, dass er mich nicht nach wie vor kontrolliert und jeden meiner Schritte überwacht. Daher werde ich auch den Teufel tun, meine Identität jetzt und hier preiszugeben!
Nachdem Anna die Mail abgesendet hatte, kam plötzlich ein Klingelgeräusch aus dem Computerlautsprecher, und ein rot blinkendes Fenster auf ihrem Bildschirm lud sie zum »Lifechat« ein.
»Was soll das, Joachim?«, drehte sich Anna zu dem hinter ihr stehenden Kriminalpsychologen um.
»Ihr erster Kontakt ›Tollmann‹ fordert Sie gerade zum ›Lifechat‹ auf, Anna«, antwortete Mettmann, der mit einem Lächeln registriert hatte, dass seine Kollegin ihn bei seinem Vornamen genannt hatte. »Nehmen Sie seine Einladung unbedingt an. Wir wollen doch mal sehen, ob diese Aktion ›ohne Nick‹ nicht aus der Reserve lockt.«
Anna klickte auf »Einladung annehmen«, und sogleich öffneten sich zwei kleine Fenster auf ihrem
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