Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
teilgenommen, bis ich mir durch das ständige Dichtholen (für Nichtsegler: Heranholen) und Fieren (Öffnen) der Segel eine chronische Sehnenscheidenentzündung einfing. Dieses Zipperlein führte dazu, dass meine Profikarriere so schnell endete, wie sie begonnen hatte, denn als Steuermann oder Taktiker (Positionen, bei denen es nicht um körperliche Arbeit geht) fehlte es mir an Erfahrung. In der ersten Zeit danach stand ich ziemlich unter Schock. Ich wusste überhaupt nichts mit mir anzufangen, aber dann habe ich darüber nachgedacht, was mich vor dem Segeln begeistert hat, habe mich auf den Hintern gesetzt und mein Architekturstudium zu Ende gebracht. Inzwischen bin ich seit vielen Jahren bei einem internationalen Baukonzern angestellt, für den ich die meiste Zeit durch die Welt reise und Großprojekte betreue.
Und Du? Wie bist Du zu Deinem Beruf gekommen? Arbeitest Du in Hamburg in einem staatlichen Kindergarten, oder bist Du eher alternativ in einem Kinderladen unterwegs?
Liebe Grüße von
Sebastian
P.S. Inzwischen weiß ich ganz genau, was ich will, und meist auch, wie ich es bekommen kann. Und da mir etwas sagt, dass Deine Wünsche möglicherweise auch die meinen sein könnten, habe ich mir in den Kopf gesetzt, Dir auf jeden Fall näherzukommen.
»Darauf möchte ich wetten«, sprang Anna von ihrem Stuhl auf. »Aber du wirst dich noch wundern, wer hier am Ende wem näherkommt!«
Anna sah auf ihre Armbanduhr. »So, ich werde jetzt zusammen mit Mettmann eine Antwort für unseren Segelfreund schreiben, wir sehen uns nachher in der Dienstbesprechung.«
»Versucht ein paar Fakten aus ihm herauszubekommen, zum Beispiel wo und in welchen Bootsklassen er an Regatten teilgenommen hat oder Ähnliches. Jeder Hinweis kann hilfreich sein, um hinter seine wahre Identität zu kommen.«
Mettmann nickte Anna zu, nachdem er die Nachricht an »Sebastian« noch einmal gelesen hatte, dann betätigte er die Enter-Taste und schickte sie ab.
Du segelst? Respekt, mein Lieber, das gefällt mir. Ich habe das auch immer lernen wollen, bin aber
leider nie dazu gekommen. Sag mal, wenn Du von Regatten sprichst, geht es dabei um richtig große Schiffe und Wettbewerbe wie den America’s Cup, oder muss ich mir Dich eher auf einer Jolle an der Müritz beim Wettkampf um die Mecklenburg-Vorpommern-Meisterschaft vorstellen?
Und was macht ein Segler im Winter? Sportlich gesehen, fragt sich
mit lieben Grüßen
Astarte.
»Sebastians« Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Im Winter jogge ich durch die Gegend und gehe ins Fitnesscenter, damit meine Muskeln nicht einrosten.
Bisher habe ich allerdings weder am America’s Cup noch an einer Meck-Pom-Meisterschaft teilgenommen, denn die Schiffe, auf denen ich mitgesegelt bin, liegen größenmäßig gesehen irgendwo in der Mitte.
Aber jetzt habe ich so viel von mir erzählt und von Dir dagegen bisher noch kaum etwas erfahren. Wie ist es denn nun mit Deinem Beruf als Erzieherin? Staatlicher Kindergarten oder doch eher alternatives Projekt? Ist es Dein Traumjob?
Bin gespannt auf Deine Antwort.
Herzlich,
Sebastian.
P.S. Astarte, richtig klasse finde ich, dass Du Interesse am Segeln hast. Wer weiß, vielleicht können wir im Frühjahr mal zusammen auf Tour gehen…
»Anna, verständigen Sie bitte den Chef, dass wir später kommen«, sagte Joachim mit einem Blick auf die Uhr. »Wir dürfen den Kontakt jetzt auf keinen Fall abreißen lassen.«
Mettmann schrieb:
Wo Du Recht hast, hast Du recht, und dann will ich jetzt doch einmal Deine Fragen beantworten. Ja, lieber Sebastian, ich mag meinen Beruf wirklich gern, auch wenn er in den letzten Jahren immer schwieriger und anstrengender geworden ist. Und da ich ein anständiges Mädchen bin, arbeite ich selbstverständlich in einer kirchlichen Einrichtung.
Bist Du jetzt enttäuscht?
LG, Astarte
P.S. Wer weiß, vielleicht habe ich mit Dir tatsächlich einen Segellehrer für mich aufgetan. Ich würde zu gern mal ein Bild von Dir und einem der Boote sehen, auf denen Du schon gesegelt bist. Sag mal, werden die Schiffe nicht in Klassen eingeteilt, oder habe ich da etwas falsch verstanden? Überhaupt, kannst Du mir nicht netterweise ein Foto von Dir schicken, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe? Oder siehst Du so schrecklich aus, dass Du das nicht riskieren willst?
P.P.S. Ich muss jetzt leider kurz weg, bin aber in ungefähr einer Stunde zurück und freu mich schon darauf, eine neue Mail von Dir vorzufinden.
»So«,
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