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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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war dort besser als in Main Church.
    Vielleicht, dachte er, gab es Möglichkeiten, sich in Stantons Wohnung umzuschauen. Das Geheimnis des Mannes zu lüften, die wahren Gründe seines einsamen Todes zu erkunden.

    Die Line Street mochte früher einmal Anziehungspunkt für die Menschen der Stadt gewesen, eine Straße mit Geschäften und Cafés. Die heutigen Besucher hießen Dreck und Dunkelheit. Joey kannte die Gründe für den plötzlichen Exodus nicht, er sah nur, dass die meisten Häuser leer standen. Wer hier noch wohnte, dem fehlte vielleicht das Geld für ein schöneres Zuhause, oder er war ein Träumer, der sich an die Vergangenheit klammerte.
    Die Nr. 11 war ein altes Haus, das Spuren von Verwahrlosung aufwies, aber nicht so sehr, um unbewohnbar zu sein. Hinter einigen der vor Schmutz starrenden Fenster sah er Gardinen, hinter einem im Erdgeschoss stand ein Topf mit einer verdorrten Pflanze.
    Neben der Eingangstür, die so brüchig aussah, als könne man sie mühelos aufdrücken, waren Klingelknöpfe angebracht, aber die Namen der Bewohner entdeckte Joey nicht.
    Mit dem ersten Schlüssel, den er ins Schloss steckte, konnte er die Tür öffnen. Dahinter wurde es dunkel. Das Licht, das durch die Fenster fiel, verbarg mehr als es enthüllte. Joey war sicher, dass Menschen hier lebten, er konnte ihre Anwesenheit riechen. Vermutlich besaß jedes Haus auf der Welt seinen eigenen Geruch, dachte er, während er langsam auf die Treppe zuging, die in engen Windungen nach oben führte. Hinter manchen der verschlossenen Türen vernahm er Geräusche – eine leise Frauenstimme einmal, dann ein Räuspern -; zwei oder drei Etagen über ihm wurde eine Tür geöffnet und sogleich wieder geschlossen und Joey blieb stehen, damit sein Einbruch nicht offenkundig wurde, bevor er vollendet war. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf die bleichgrüne Wand ihm gegenüber, auf der Bewohner Parolen und Figuren gemalt hatten. Eine Frau war darunter, die nichts ausstrahlte, das den Betrachter hätte beruhigen können. Ihr Körper war eine ungenaue Skizze, aber ihr Geschlecht beruhte auf monströser Übertreibung. Es versprach eher Angst als Lust, mehr Verstörung als Befriedigung; es war nicht dazu da, Kindern Leben zu schenken, es verschlang sie.
    Fröstelnd setzte Joey seinen Weg fort und stieß dank eines Zufalls bald auf die Wohnung, die er suchte. Jemand hatte in der Tür grob den Umriss eines Grabsteins geschnitzt und darin Stanton geschrieben. Der Verdacht, dass jemand etwas von Stantons Tod wissen konnte, verflüchtigte sich, als Joey die Zeichnung näher untersuchte und feststellte, dass sie bereits lange dort war, womöglich bereits seit Jahren. Die Wunden im Holz waren verwittert wie das Holz selbst.
    Er kramte erneut den Schlüsselbund hervor und öffnete, nachdem er den passenden Schlüssel gefunden hatte, die Tür, die mit ihrer Unterkante vernehmlich über den Boden schleifte und in den Angeln quietschte. Niemand kam, um die Ursache des Lärms zu erforschen, dennoch befürchtete Joey, dass man ihn gehört hatte. Er zuckte bei dem Gedanken zusammen, dass jemand – der Portraitmaler vielleicht – nach dem Rechten sehen würde, während er in Stantons Eigentum schnüffelte.
    Die Wohnung war dunkel und die Luft in ihr beinah so tot wie ihr Bewohner; dennoch machte Joey kein Licht und öffnete kein Fenster. Links an der Wand hing ein Spiegel. Joey konnte nicht anders, als sich einer Betrachtung zu unterziehen. Verdutzt seufzte er auf, als er sich großäugig und schmallippig im Spiegel sah. Hätte er sich ein Kompliment gemacht, es wäre eine Lüge gewesen.
    Er wandte sich wieder dem Raum zu, in dem er stand. Alles was sein Auge erfasste, wirkte verbraucht und billig. Was er sah, deprimierte ihn, und er fragte sich, wie ein Mann hier leben und wirken konnte, ohne Selbstverachtung sich selbst gegenüber zu empfinden. Joey bohrte einen Finger in das durchgesessene, grobe Polster einer Couch, an deren Ende zwei nachlässig zusammengefaltete Wolldecken lagen. Ein vorsintflutlicher Fernseher stand neben ihr auf einem kleinen Holztisch.
    Er suchte die Küche auf, die das Ausmaß einer winzigen Kammer hatte und kein Fenster besaß. Die Dunkelheit war hier noch undurchdringlicher – es war beinah Nacht hier -, genau wie der Gestank. Joey kniff die Augen zusammen und sah in der Spüle die Umrisse Schimmel übersäten Geschirrs. Als er zur Seite trat, damit aus dem anliegenden Raum wenigstens ein dürres Lichtgerinnsel

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