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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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er auf den zerlumpten Mann blickte, der rücklings auf einem schmalen wuchernden Grünstreifen zwischen Straße und Eisenbahnschienen lag und die Sonnenstrahlen genoss. Er hielt die Augen geschlossen, soweit Joey das erkennen konnte, aber er schlief nicht. Die Finger seiner linken Hand klopften eine unruhige Melodie auf dem weichen Boden.
    Joey überlegte, welche Möglichkeiten er hatte, ungesehen am Mann vorbei zu kommen, da öffnete der Müßiggänger schon seine Augen, als hätte er die Anwesenheit des zaudernden Joeys gespürt, und starrte zu ihm herüber. Eilig stand er auf und wischte sich Gras von den schmutzigen Kleidern. Er trug einen braunen Pullover, der ihm mindestens zwei Nummern zu klein war, und alte Hosen in einer ganzen ähnlichen Farbe und Beschaffenheit. Am Boden und jetzt erst für Joey zu sehen stand eine zu einem Drittel geleerte Flasche; billiger Schnaps, wie Joey vermutete. Durch all diese Eindrücke wurde der Mann in eine Ecke gedrängt, die es Joey ermöglichte, Dominanz dort zu präsentieren, wo sonst nur Mittelmäßigkeit und Verdruss war.
    „Was tun Sie hier?“, fragte er. Er hörte seine eigene Stimme laut in seinem Kopf dröhnen. Durch die Lautstärke schien sie gleichzeitig tiefer und brummiger geworden zu sein. Sie erzeugte eine angenehme Vibration in seinem Kehlkopf. Warum redete er nicht immer so? Wie um seiner Stimme nochmals die Möglichkeit zu geben, ihre Stärke zu zeigen, fügte er hinzu: „Dies ist Privatgelände!“
    „Entschuldigung“, nuschelte es aus dem Mund seines Gegenübers zurück. „Das wusst´ ich nicht.“
    „Das Management sieht es nicht gerne, wenn Eindringlinge hier herumstreunen“, sagte Joey herrisch, ohne weiter darauf einzugehen, wer sich hinter dem Management verbergen mochte.
    „Ich streune ja hier nicht herum. Ich...“ Der Mann glotzte Joey an, dann blickte er plötzlich zu Boden, als würde ihn mit Furcht erfüllen, was er dort sah. „Ich wollte nur eine Pause machen.“
    Nachdrücklich schüttelte Joey mit dem Kopf. Ein wenig machte es ihm Spaß, den Kerl derart bloßzustellen. „Überall“, sagte er, „aber nicht hier. Die Welt ist groß genug. Suchen Sie sich einen Platz, an dem Sie ungestört Ihrer Beschäftigung nachgehen können.“ Dann hob er die Arme in einer entschuldigenden Geste leicht an. „Das Management hat mich befugt, sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind, für Ruhe zu sorgen. Tut mir wirklich leid.“
    Der Mann legte sein schmutziges Gesicht in betrübte Falten und nickte. „Ich verstehe.“
    „Nichts für ungut.“
    Der Mann erwiderte nichts darauf, sondern ergab sich in sein Schicksal, klaubte seine Flasche auf und ging mit schlurfenden Schritten davon.
    Joey atmete hörbar auf. Es dämmerte ihm, dass seine Leistung die eines guten Schauspielers würdig gewesen war. „Nichts für ungut“, murmelte er mit seiner neu entdeckten Intonierkunst und kicherte, während er dem Mann hinterher schaute, der sich, um den Weg abzukürzen, durchs Buschwerk kämpfte und bald darauf aus Joeys Blickfeld verschwunden war.
    Das Gebäude mit der Nummer neun wirkte zwischen seinen wuchtigeren Nachbarn unscheinbar und armselig. Da es, wie Joey aus Stantons kurzer Beichte wusste, ein Geheimnis wahrte, wirkte es auf ihn gleichzeitig auch wie eine unausgesprochene Drohung.
    Scheiß drauf!, dachte er mit einer Verbissenheit, die seine Zähne zum Knirschen brachte, und machte einen großen Schritt auf das verwilderte Grundstück zu. Es handelte sich um ein zweistöckiges, recht schmales, aber langgezogenes Gebäude mit einer schmutziggrauen Fassade und einem flachen Dach. Joey schaute auf zwei mit Rollläden geschützte Fenster – wie zwei geschlossene Augen, dachte er – links und rechts der rostigen Eisentür, über welcher in beinah völlig verblassten Lettern der Name der Firma geschrieben stand, die früher einmal hier ihren Sitz gehabt hatte. Joey überlegte, ob Stanton auch einmal einer ihrer Mitarbeiter gewesen war.
    Von weit entfernt hörte er ein klirrendes Geräusch, als fiele ein Metallstück zu Boden. Er wusste, dass in einigen Fabriken immer noch gearbeitet wurde. Da er nicht gesehen werden wollte, beendete er seine nachlässige Inspizierung des Gebäudes und trat auf die Tür zu. Er murmelte ein Wort der Überraschung, als er feststellte, dass sie nicht verschlossen war, wie es die ganze Zeit seine Befürchtung gewesen war. Diese Nachlässigkeit musste er dem Toten zu verdanken haben.
    Hinter der Öffnung

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