Totenrache und zehn weitere Erzählungen
täuschte, zum ersten Mal benutzt wurde.
„Nein? Keine Angst vor dem Tod?“
„Nein. Ich hab das Leben zu sehr ausgereizt, um Angst zu haben. Der Tod bietet mir mehr.“ Er schaute sie an, beinah zärtlich. „Du musst es tun. Und was deine Befürchtung anbelangt, du seiest eine Mörderin: Als du mich verlassen hast, hast du mehr angerichtet als nur einen Mord. Ich liebte dich. Dachte immer nur an dich, als du fort warst.“
„Ich habe vergessen, wie das ist. Zu denken, mein ich.“
„Ich küsste Gegenstände, die du berührt hast.“
„Du spinnst! Mein Gott, du bist verrückt. Ich hätte dich nie kennen lernen dürfen.“
„Ja, vielleicht. Aber dazu ist es nun zu spät. Ich kann nicht mehr zurück. Hab die Kraft nicht mehr dazu; alles zerstört. Es wieder aufzubauen, ist unmöglich.“ Er grinste jetzt. „Ich hab´s gründlich gemacht. Freunde sind jetzt Feinde.“
„Rede mit deiner Frau. Sie wird dir helfen, wenn sie dich liebt.“ Langsam wurde Vanessa nervös. Sie begriff nun, dass Walter als Witzereißer tatsächlich versagte.
Walters Grinsen wurde größer, ging bis über den Punkt der Geistesgestörtheit hinaus. „Ich habe ihr alles erzählt.“
„Das glaube ich nicht. Sie hätte dich nie gehen lassen.“
„Ich lüge nicht!“
„Und dennoch bist du hier? Ich versteh nicht ganz. Wie hat sie reagiert?“
„Gefasst. Sie schlief dabei.“
„Du bist wirklich verrückt.“
„Ja. Aber jetzt töte mich.“
Vanessa gab es auf, diesem Beisammensein mit Logik zu begegnen. Da standen sie, wie Partner auf einem Fest, und redeten über Walters Tod. Sie war niemand, der andere bekehren konnte. Dafür fehlten ihr stets die Argumente. Und was half es schon, dass sie Mitleid mit ihm bekam? Das brauchte er nicht. Er wollte Verständnis, aber das konnte sie ihm beim besten Willen nicht bieten.
„Selbst wenn ...“ Vanessa spürte, dass sie in die Falle tappte. Diese Worte! „Selbst wenn ich es wollte ...“
„Was wäre dann?“ Walter stand wieder auf, vielleicht weil er seinen Sieg witterte. Möglicherweise lag es aber auch daran, dass ihm das ständige Aufsehen zu ihr zu metaphorisch wurde.
„Ich habe keine Mordwerkzeuge hier.“ Das waren Abschiedsworte. „Bin nicht drauf vorbereitet.“ Sie verabschiedete sich schon.
Walter griff in die Innentaschen seines Mantels, zuerst in die linke, dann in die rechte. Nacheinander zog er ein Messer und einen Revolver heraus, beide zu eindeutig aufs Ende getrimmt, um sie als Irrtum beiseite zu wischen. „Ich bin drauf vorbereitet.“ Er legte die Waffen auf einen Tisch, auf dem ansonsten bloß eine ungebrauchte Kerze stand. „Du hast die Wahl.“
„Nein“, murmelte sie. Vanessa war nun über den Punkt der Erschöpfung hinaus, ihr Kopf war leer und kalt, und sie konnte bloß noch Wort an Wort reihen: „Nein! Nein!“
„Aber Schatz!“ So hatte er sie stets genannt, bei jeder Gelegenheit, bei jeder sich bietenden Gelegenheit: ´Das ist gut, Schatz!´, ´Ich lieb Dich, Schatz´, ´Aber Schatz!´ Wahrscheinlich war er einfallslos genug, seine Frau ebenfalls so zu nennen. „Ich geh nicht eher“, meinte er, „ich geh nie mehr von hier fort.“
„Warum tust du mir das an?“, winselte Vanessa.
„Du verdienst es. Du hast meine Seele zerstört. Zerstör jetzt meinen Körper. Tu es gründlich! Niemanden sonst könnte ich das abverlangen. Darum!“
„Ich kann nicht!“
„Jeder kann.“ Er deutete aufs Messer. „Stich zu!“ Dann zögerte er einen Augenblick. „Oder schieß drauflos.“ Walter lachte wieder, und zum ersten Mal sah Vanessa, dass er alt und ausgebrannt wirkte; ein unbekannter Zug der Hässlichkeit in seinem Gesicht, das sie früher abgöttisch geliebt hatte.
„Du hast keine Pläne mehr, nicht?“, fragte sie.
„Pläne hab´ ich genug, aber...“ Walter zuckte mit den Achseln, schüttelte sich wie gedemütigtes Vieh, „aber die taugen nur fürs Jenseits.“ Mit einem gemalten Blick, so starr und fest, schaute er sie an, als könnte er nichts Reizendes mehr an ihr finden. Dann klaubte er den Revolver vom Tisch und drückte ihn ihr in die Hand.
Vanessa protestierte nicht, als sie begriff, dass sie um ihr Wahlrecht betrogen wurde. Seine Lippen, ganz dicht an ihrem Ohr, hauchten ihr Worte entgegen, die sie ihrer letzten Illusion beraubten: „Bitte, Schatz!“
Das Geheimnis des Toten
Kalt war es an diesem Abend im März; unter null Grad, schätzte Joey. Die scharfen Böen, die aus Norden kamen, machten den Tag noch
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