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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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führte ein langer und dunkler Gang tiefer in den kalten Schlund des Hauses hinein. Joey stand auf der Schwelle, säuberlich aufgeteilt von Licht und Schatten, die um ihn rangelten, und lauschte in die Dämmerung hinein, aber er vernahm keinen Laut. Totenstill, dachte er und er spürte, wie Kälte über seinen Rücken wanderte.
    Langsam und ständig bestrebt, jedes Detail, das er sah, hörte oder roch, in sich aufzunehmen, betrat er das alte Gebäude. Er entdeckte einen altmodischen schwarzen Lichtschalter und betätigte ihn. Joey verzog das Gesicht, als er die dicke ölige Staubschicht bemerkte, die das Plastik bedeckte. Schon jetzt, kaum dass er einen Fuß hinter die Schwelle gesetzt hatte, wünschte er sich wieder fort; der Dreck und die Dunkelheit und Stantons Geheimnis, das hier herumlungerte, waren womöglich nichts für seine schreckhaften Sinne. Doch dann dachte er an sein tristes Zimmer in Main Church, in dem die Luft schwer war von vernachlässigten Träumen und er schüttelte trotzig den Kopf.
    Klackend und summend flackerten die Neonröhren an der Decke auf, aber sie konnten den Gang kaum erhellen. Die Röhren, sah er, waren ebenfalls mit Staub und einer unkenntlich miteinander verwobenen Schar aus toten Insekten bedeckt. Vereinzelt sah er zuckende Beine oder Flügel, aber das lag vermutlich eher an dem Luftzug, der durch die offene Tür wehte.
    Nach wenigen Schritten bemerkte er an der Wand auf seiner rechten Seite eine verschlossene Tür, neben der ein Fenster eingelassen war. Das Glas war derart verschmutzt, dass Joey einige Male mit dem Ärmel seiner Jacke den ärgsten Dreck fortwischen musste. Er schaute durch den schmalen Streifen, den er geschaffen hatte, aber dennoch konnte er nicht viel erkennen; schemenhafte Umrisse eines altmodischen Schreibtisches aus hellem Holz, verschiedene Gegenstände wie Telefon und eine Lampe darauf, einige Stühle und in der Ecke einen offenen Aktenschrank.
    Die Reizlosigkeit, die dieser Blick in die verschwommene Düsternis offenbarte, war verstörend. Joey stierte darauf und versuchte, diesem abscheulichen Bild einen Namen zu geben, einen Begriff, der sich wie ein Krebsgeschwür in sein Gedächtnis einnisten und ihn auffressen konnte. Aber dieser Versuch lebte nur wenige Augenblicke, dann verlor er seinen Reiz und Joey wandte sich ab von diesem Stilleben. Erstaunt stellte er fest, dass Schweiß auf seiner Stirn stand und sein Atem so schnell ging, als sei er gerannt.
    Wovor hab´ ich Angst?, fragte er sich, aber er bekam keine Antwort.
    Er ging weiter den Gang entlang, seine Schuhe, obgleich sie kaum mit dem rauen Betonboden in Berührung kamen, erzeugten die einzigen Geräusche, ansonsten war das Gebäude in völliger Ruhe erstarrt. Der schwache Schein der Neonröhren hatte von irgendwoher Insekten herangelockt, welche unentwegt das Licht und ihre toten Artgenossen umschwirrten. Joey wischte sie mit einem Anflug von Panik fort, wenn sie ihm zu nahe kamen. Er mochte keine Insekten, besonders solche, die mit schnellen und unkontrollierten Bewegungen durch die Luft flogen, waren ihm verhasst.
    Es gab weitere Türen, die er passierte, und sie alle waren verschlossen, aber nach der Hälfte der Strecke konnte Joey bereits erkennen, dass im Schloss der letzten Tür ein Schlüssel steckte und er war sicher, dass er dort auf Stantons Geheimnis traf.
    Bevor er die Tür öffnete, legte er ein Ohr an die kalte Oberfläche und lauschte mit geschlossenen Augen, aber er vernahm nichts, das auf eine Gefahr hindeutete. Leise, als würde zuviel Lärm einen möglichen Bewohner wecken und reizen, zog er die Tür auf. Dunkelheit und eine aufgestaute Wand aus höllischem Gestank kippten ihm entgegen und Joey taumelte zwei, drei Schritte zurück, sein Gesicht war verzerrt im Bemühen, den Inhalt seines aufgepeitschten Magens zurückzudrängen. Gebeugt blieb er stehen, Tränen und Speichel rannen aus Augen und Mund. Nur langsam ließ der Würgereiz nach. Mit einer unsicheren Hand wischte er sich den Tränenschleier fort und blinzelte zur Tür hinüber. Kleine schwarze Punkte taumelten bis zur Schwelle oder knapp darüber hinaus und verschwanden dann wieder im Dunkel: Fliegen! Joey verzog den Mund. Es kostete ihn nun sehr viel Überwindung, wieder Kurs auf die jetzt wie eine Drohung wirkende Schwelle zu nehmen. Etwas Schreckliches lauerte hinter ihr, das war Joey nun klar. Wenngleich der Reiz des Geheimnisses nun nicht mehr sein kindlich-unschuldiges Gewand trug, sondern von etwas

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