Totenrache und zehn weitere Erzählungen
summende Insekten waren auf ein zu vernachlässigendes Minimum reduziert. Er nahm eines der Bündel, das sicherlich tausend Dollar schwer war, in die Hand.
Es gab nichts, was Joey mit dem Geld tun konnte, außer es sein eigen zu nennen. Niemand besaß größeren Anspruch darauf als er und er wusste, Stanton und Julia wären seine Verbündeten gewesen. Er war angesichts ihres hässlichen Todes nicht davongelaufen, um sie ihrem traurigen Schicksal zu überlassen – gab es einen größeren Beweis für die Richtigkeit seiner Überzeugung?
Das Geld gehörte ihm! Selbst die Angriffslust der surrenden Fliegen schien für einen Moment einzuschlafen, als spürten sie seine Entschiedenheit.
Er schreckte auf, als er ein leises Scharren hinter seinem Rücken vernahm, doch er konnte es nicht zuordnen. Der Taumel aus ungläubiger Freude und jäh erblühten alten Träumen machte ihn trunken und unbeholfen. Er wandte genau in dem Moment den Kopf, als ein Hieb auf ihn niedersauste und ihn über dem linken Ohr traf. In seinem Innern schien ein lodernder Feuerball aufzuplatzen, der seinen Schädel zu sprengen drohte. Der Schmerz war so groß, dass er es unterließ, einen Schrei auszustoßen, aus Angst, sein Leben könnte mit ihm entweichen. Mit einem matten Laut kippte er zur Seite, in einem blinden Reflex streckte er beide Arme aus und umklammerte den harten Rand der Pritsche. Trotz des ihn betäubenden Schmerzes registrierte er das kalte Laken und den noch kälteren Körper, den es schützte.
Wieder dieses Scharren und er wusste, dass er auf verlorenem Posten stand. Diesmal war es ein gemeiner Tritt in die Magengrube. Joey krümmte sich zusammen und lag wie ein monströser Embryo halb unter der Totenstätte und rang nach Atem. Die Farbe von Blut schimmerte hinter seinen Augen; dahinter drohte tiefe Schwärze. Er begriff nicht, wie die Situation sich so schnell hatte wandeln können. Ein ungewohntes Geräusch schrillte zwischen seinen Ohren hin und her, als sei irgendetwas mit dem ersten Schlag in ihm entzwei gegangen.
„Ich wusste doch, dass du nicht der bist, für den du dich ausgegeben hast, Mistkerl!“
Joey kannte die Stimme, aber es dauerte eine Weile, bis er sie dem Mann zuschreiben konnte, den er wenige Minuten zuvor noch davongejagt hatte.
„Hab´ dich beobachtet, wie du hier eingebrochen bist.“ Die Stimme kam näher, als sei der Kerl in die Hocke gegangen. „Du Scheißkerl hast die Kleine umgebracht, was? An Kindern kannst du dich vergreifen, was?“
„Nein.“ Das Wort troff zäh wie Glut aus Joeys Mund. Nur ein Wort, aber er war bereits mit seinen Kräften am Ende.
„Hast dich an ihr vergriffen, nehm´ ich an. Und sie dann hier sich selbst überlassen.“
„Nein“, keuchte Joey unter Aufbringung aller Kräfte, da ihm dämmerte, dass Worte seine einzige verbliebene Waffe waren; sein zerschundener Körper konnte seinem Gegner höchstens noch ein müdes Lächeln abringen. „Sie irren sich“, fiepte er. Er spürte das Getippel leichfüßiger Wesen in Gesicht und Nacken. Es störte ihn nicht; nun, da die Gefahr von anderer Seite drohte, hätte er sich unter Bergen dieser Viecher verkrochen, um in Sicherheit zu sein. „Ich...“
Den Rest seiner Erklärung brachte er nicht über die Lippen, da ihn ein neuerlicher Tritt traf. Mit dem Hinterkopf knallte er gegen ein Bein der Liege, die polternd verrutschte. Was der Mann zu ihm sagte, vernahm er nur als undeutliches Rauschen. Vage nahm er eine Bewegung in seinem Blickfeld wahr, dem ein metallisches Geräusch folgte. Mühsam hob er den Kopf, es kam ihm so vor, als hielte ein tonnenschweres Gewicht ihn unten. Der Koffer klemmte nun unter dem Arm seines Bezwingers, der seinen Mund zu einem breiten Grinsen verzog.
„Dein Management wird sicher die richtigen Entscheidungen treffen. Es wird kommen und dich befreien, nehme ich an. Und dann wird wieder alles in Ordnung sein, richtig?“
Joey sah eine Kolonie von Maden, die über seine Hände krochen und er zerquetschte sie schaudernd zu einer farblosen Masse. Taumelnd kam er in die Höhe, das Blut rauschte unheilvoll in seinem Kopf und er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren.
Der Mann, mittlerweile auf der Schwelle der Tür stehend, redete weiter. „Musst nur ein wenig Geduld haben. Die Kleine dort wird dir zeigen, wie einfach es ist zu warten.“
„Warten Sie“, keuchte Joey; die Panik rüttelte an ihm wie ein Guss aus eiskaltem Wasser. „Bitte, gehen Sie nicht!“
Der Mund des Mannes klaffte zu
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