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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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Grässlich-Blutigem umhüllt war, konnte Joey ihm immer noch nicht widerstehen.
    Er durchbrach das surrende Gewusel der fetten, wohlgenährten Fliegen, welche ihm, feigen Wächtern gleich, bedrohlich nah kamen, ihn jedoch nicht aufhielten.

    Sein erster Blick, als er die Schwelle zum unheilvollen Raum überschritt, galt der gegenüberliegenden Wand, die in Wallung geraten war. Einzelne schwarze Farbkleckse schienen aus dem starren Gefüge heraus zu tropfen, andere nach oben hin weg zu platzen. Joey starrte stirnrunzelnd auf dieses Rätsel, bis er es endlich lösen konnte. Er begriff, dass es Insekten waren, welche wild umherwuselten, als sie Luft und Fleisch bemerkten, die zur Tür hereingekommen waren; unzählige, sich gegenseitig fressende, begattende, ertastende Insekten. Ihre kleinen Stimmen wisperten und brummten aus dem Dunkel zu ihm herüber, dass es ihm kalt den Rücken runterlief. Jetzt, da er sie erspäht hatte, konnte er auch ihre Leiber hören, wie sie über Gestein und abgesondertem Schleim krochen und liefen. Beobachteten sie ihn? Beinah konnte er den tausendfachen Blick aus ihren Stecknadelaugen spüren.
    Einige flogen nah an ihn heran, an seinem Gesicht vorbei oder über seinen Kopf. Er unterließ es diesmal, sie mit hektischen Bewegungen davon zu jagen. Er wollte sie und die noch wartende Armee im Hintergrund nicht reizen.
    Die grauenhafte Konfrontation raubte ihm beinah jeglichen Elan, dem Geheimnis auf der Spur zu bleiben, und so war mehr ein Reflex als Absicht, dass er nach einem Lichtschalter tastete, ihn fand und betätigte. Das Licht war kaum durchschlagkräftiger als jenes im Gang, aber es genügte, ihn das Wesentliche erkennen zu lassen. Zögernd schälten sich die grauenhaften Details aus der Dämmerung und brannten sich wie ein Blitz in Joeys vor Furcht geweitete Augen.
    Der Raum hatte tatsächlich einen Bewohner und der Gestank, den Joey nun benennen konnte, strömte und sickerte aus seinen Poren. Es war beinah wie im Wald, dachte Joey. Es war Stantons Duft, den Joeys Nase aufsog, nur war er hier ungleich intensiver, da es hier in der Zelle keine Brisen gab, die ihn verdünnen konnten. Hier war Verwesung am Werk, unverfälscht und bitter; feuchtes Fleisch und erstarrtes Blut.
    Joey blickte auf eine schmale Pritsche links an der Wand, auf der ein bis zum Hals von Laken umhüllter Körper lag.
    „Mein Gott!“, stieß er hervor, dann folgten weitere Worte, die er als unsinnigen Kauderwelsch vernahm und vergaß. Innerlich war er für einen Moment wie erstarrt, sein Herz schien in einem alten Gemäuer zu schlagen und das Blut durch finstere Kanäle zu strudeln. Seine Augen verströmten mit einem heißen Glanz die Panik, die er verspürte. Fette Fliegen torkelten gegen sein Gesicht, eine versuchte brummend, sein rechtes Ohr zu entern, aber er schüttelte sie davon.
    Die Leiche hatte blondes Haar und ein eingefallenes, zur geschlechtslosen Skizze zerfressenes Gesicht. Auf dem Laken hatten sich große dunkle Flecken gebildet. Trotz des Fäulnisgestanks, der so eifrig Joeys Galle lockte, als würde zwei unsichtbare Finger seinen Rachen ausloten, tat Joey einen Schritt auf die Todesstätte zu, würgend und mit tränenden Augen, dann noch einen und einen weiteren, bis er schließlich sein Ziel erreichte und die Gestalt hätte berühren können, die reglos vor ihm lag.
    Ihr Mund grinste ihm mit gebleckten Zähnen entgegen, das weiche Fleisch der Lippen säuberlich abgenagt von den ihn umschwirrenden Bestien.
    Die summende Wand aus Insekten regte sich und Joey linste erschrocken in ihre Richtung. Formierten sie sich zu einem Angriff? Aus der wuselnden Masse wurden immer wieder einzelne Exemplare ausgespuckt, die ihm in der Enge des Raums sehr nah kamen und dann wieder abdrehten. Sie vegetierten in Schichten übereinander, erkannte Joey, Lagen von mehrbeinigem Fleisch über Fleisch, welches nur kriechend und langsam vorankam. Fliegen waren in der Überzahl, wie er vermutete, aber es waren auch viele Maden und anderes kriechendes Gewürm dabei. Sie befanden sich hier im Paradies, wusste Joey, solange ihnen das Fleisch als Futter, wärmendes Bett und Geburtsstätte diente, würden sie gedeihen.
    Sein Blick zuckte zurück zum Leichnam, zweifellos eine Frau.
    Nein, korrigierte er sich sofort, keine Frau, sondern ein Mädchen, dessen Namen er nun auch kannte: Julia.
    Joey durchblätterte die Schnappschüsse, die sich vor seinen Augen auftaten: gelesene Artikel, Fotos des zu Beginn des Winters entführten

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