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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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einem bösen Lächeln auf. „Nichts für ungut.“ Die Worte schwebten noch in der Luft, als er die Tür bereits hinter sich zuzog. Dem Dröhnen der schweren Tür folgte leiser das knirschende Mahlen des Schlüssels, der draußen im Schloss gedreht wurde.

Die Geisel

    Anna schloss die Augen und reduzierte ihre Empfindungen für einen kostbaren Moment auf ein erträgliches Minimum. Dann jedoch hörte sie die Stimme des hinter ihr geduckten Mannes; Heiserkeit löschte die Silben beinah aus, aber das genügte vollkommen, der Angst wieder auf die Beine zu helfen.
    Erneut der endlose Laut gekeuchter Worte, diesmal ein wenig besser intoniert: „Scheinen immer mehr zu werden, was?“ Er lachte; seine linke Hand, die auf Annas Schulter lag, geriet dadurch unweigerlich in Unruhe, und Anna spürte die bedrohliche Schärfe der Messerklinge, die ihren Hals leicht ritzte. Sie bog ihren Kopf ein wenig zurück, kam damit jedoch dem Mann noch näher und verharrte schließlich in einer Position, die ihre Niederlage bereits vorwegzunehmen schien.
    Einen Steinwurf von ihr entfernt sah sie das Lichtgeflacker der Einsatzwagen, hinter den geöffneten Türen hockten Männer mit Präzisionsgewehren, die auf ihre Chance lauerten. Ihre Zahl war tatsächlich gestiegen, stellte sie fest, aber was nützte dies? Solange sie die lebende Zielscheibe war, würde sicher kein Schuss fallen. Sie befand sich in der Hand eines Mannes, der weniger als zwei Stunden zuvor seine Frau und seinen Sohn ermordet hatte. Da konnte sie kaum auf eine gütige Fügung des Schicksals hoffen, denn streng genommen war es ja genau dieses Schicksal gewesen, dass sie in jener fatalen Sekunde den Weg des blutrünstigen Mörders hatte kreuzen lassen, der, in blinder Flucht vor der Gerechtigkeit, die Chance genutzt, Anna an sich gerissen und ihr die blitzende Klinge an den Hals gesetzt hatte.
    Nun befanden sie sich am Ende eines schmutzigen, öden Geländes, und es kam ihr so vor, als hätte sie seither nicht mehr als einen Atemzug getan. Die Zeit war, wie Anna selbst, im Entsetzen erstarrt. Der Hof schien im Besitz einer Firma zu sein, die, so schloss Anna aus dem erbärmlichen Zustand der Gebäude ringsumher, kurz vor dem Bankrott stehen musste. Kein Ort der Welt hätte geeigneter sein können für dieses Schauspiel, in dem sie eine der Hauptrollen spielte, dachte sie mit einem Anflug von Sarkasmus, der ihr nicht behagte.
    „Lassen Sie die Frau gehen, Hohlberg, und ergeben Sie sich!“, erschallte die blecherne Stimme aus einem Megafon. „Sie haben keine Chance!“
    „Vielleicht nicht“, murmelte Hohlberg. Er war so nah bei ihr, als wollte er ihr Ohr entern und Annas Seele erreichen. „Vielleicht aber doch. Was meinst du?“
    „Ich...“, begann Anna und stockte sogleich wieder, voller Angst vor dem Messer, das vor ihr blitzte, und Hohlbergs einschüchternden und aufdringlichen Nähe. Was sollte sie ihm denn sagen? Oder: Was wollte er hören? Sie wusste nicht, welche krankhaften Gedanken im Schädel eines Mörders unheilvolle Allianzen eingingen. Gelegentlich hatte sie seine Hand gesehen, die andere, nicht die das Messer haltende Linke. Sie war mit Blut besudelt, dem Blut von hingerichteten Menschen. Diese Erinnerung daran machte ihr klar, dass Hohlberg ganz sicher nicht mit guten Ratschlägen zu betütern war.
    Anna zwang ihren angstumflirrten Blick zu den Polizeiwagen, die wie zufällig hingeschleudert auf dem verwahrlosten Platz standen. Der Anblick verlieh ihr neue Zuversicht; genau wie die Gesichter der Polizisten, die Anna sehen konnte. Einer hatte stahlblaue Augen und ein so hübsches Gesicht, dass Annas erster Impuls war, den Mann anzulächeln. Sie wäre gern in seine Gedanken eingetaucht, um zu erfahren, wie er die Sache sah. Bemitleidete er sie wegen ihrer bedrohlichen Lage, litt er mit ihr oder war sie bloß ein Teil seines Tagesgeschäfts?
    Die Sonne lugte hinter einer Wolke hervor und ihre Strahlen bohrten sich wie Finger in ihre Augen, sodass sie blinzeln musste. In der Brusttasche ihrer Jacke steckte eine Sonnenbrille, aber sie sich aufzusetzen, war genauso aussichtslos, als versuchte sie, mit ihrem Atem die Sonne auszupusten. Für einen Moment malte sie sich aus, welch fatale Folgen ein Niesen haben könnte.
    „Ich weiß nicht“, sagte sie zaudernd, eine Reaktion von ihm abwartend. Als er nichts entgegnete, fuhr sie fort: „Sie haben etwas Schlimmes getan, glaube ich.“ Hatte sie gerade wirklich glaube ich gesagt? Hinter ihr kicherte Hohlberg

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