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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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bannten.
    Brendan ließ den Prospekt aus der Hand gleiten und sah zu, wie er über die Stufen der Treppe segelte, auf welcher er saß, und schließlich aufgeklappt liegen blieb. Selbst aus einigen Metern Entfernung und trotz der schlechten Beleuchtung sah er die Fotos, deren Details verschwammen; da waren Münder und Wunden einander ähnelnde klaffende Löcher, und selbst der herbe Liebesakt, aus der Nähe noch blindwütiges Herumgestochere, wurde plötzlich seltsam vertraut.
    Brendans Blick ging von einer billigen Anpreisung zur nächsten: dem Kino. McCeans Worte waren ihm noch in guter Erinnerung: „ Behandle das Kino wie deine Geliebte, Junge. Die würdest du niemals zugrunde richten, nicht wahr? Denk dran, dass der Filmpalast mein Eigentum ist. Ich komm vorbei, irgendwann, und sollte mir zu Ohren kommen, dass du dich gegen meine Anweisungen stellst, wirst du teuer dafür bezahlen .“
    Brendan glaubte dem Mann vorbehaltlos, und allein diese Drohung zwang ihn dazu, seine Aufgabe als Aufseher als ernstzunehmende Angelegenheit zu betrachten. Er hatte auf unbestimmte Zeit die zweite Schicht des Tages bekommen. Das bedeutete günstigenfalls, dass er Karten für die Spätvorstellungen verkaufte, die außer am Wochenende noch zweimal in der Woche stattfanden. An anderen Tagen musste er lediglich den Dreck forträumen, den zu hinterlassen den Besuchern offenbar große Freude bereitete, und aufgeschlitzte Ledersitze wieder soweit reparieren, dass sie die nächste Vorstellung überstanden. Die Toiletten musste er säubern und manchmal auch einen Bewusstlosen aus seiner Drogentrance wecken.
    Brendan wusste, dass er schwerlich eine würdevollere Beschäftigung finden würde. Er konnte sich mit seiner Vergangenheit nirgends verkaufen. Womit sollte er sie entschuldigen? Es reichte nicht zu sagen, dass er sich nie eines Blutvergießens schuldig gemacht hatte. Man würde ihm das glauben; ein Blick in seine sanftblauen Augen, und man glaubte ihm alles, aber wer würde ihm vertrauen?
    Er hörte Schritte von den im Halbdämmer liegenden vorderen Sitzreihen näherkommen und schaute in Rods aufgequollenes Gesicht, dessen gleichgültige Züge seinen andauernden Abstieg in die Bedeutungslosigkeit überdeckten. Obwohl Brendan den Jungen erst seit wenigen Tagen kannte, war er sich sicher, dass an der zur Schau gestellten Selbstzufriedenheit nichts gespielt war. Wahrscheinlich bekümmerte ihn das alles nicht und er war mit sich im Reinen, dachte Brendan Im Geiste sah er sich nach dieser simplen Formel schnappen, wie ein Hund nach seinem Schwanz.
    „Bin fertig hier“, sagte Rod und kam näher.
    „Ah“, entgegnete Brendan. „Gut.“
    „Das Gröbste hab ich schon erledigt. Nur noch einige der hinteren Sitzreihen...“
    „Das weiß ich. Ich konnte das sehen. Ich erledige den Rest.“
    „Wirklich?“
    „Bestimmt; du kannst dich auf mich verlassen.“
    „Okay.“ Rod wälzte seinen Körper zum Ausgang hin. „Und vergiss nicht, hinter mir abzuschließen.“
    „Herrgott, nein, werd´ ich nicht.“ Jeden Abend dieselbe betüternde Litanei.
    „Einen schönen Abend noch.“
    „´nen Abend.“
    Feuchtkalte Nachtluft wehte herein, dann knallte die Tür ins Schloss.

    Alte Häuser waren nie ganz still, und Brendan kam es so vor, als seien die Geräusche Regungen aus dem Gedärm eines toten Wesens. Die stumpfsinnige Arbeit half ihm nicht, sie vollends auszublenden. Ständig verharrte und horchte er in die Finsternis des Gebäudes hinein. Als kämen Schritte daher, aus den finsteren Schächten unter dem Dachgiebel zu ihm herab: So exakt hielten die Laute ihren Takt. Brendan ertappte sich dabei, wie er seine Blicke in die undurchdringlichen Winkel gleiten ließ.
    Der Gedanke kam unvermutet und durchdrang ihn mit intensiver Kraft: War es so undenkbar, dass hier, in diesem zerfallenden Kino, Geister lebten? Wie oft hatte es Helden sterben sehen oder die rührselige Eroberung der Geliebten verfolgt. Ging das alles einfach so dahin, wenn die Lichter am Ende des Films wieder aufflammten und die verwirrten Besucher zu den Ausgängen torkelten? Jetzt, in der Nacht und umschwirrt von Geräuschen, hätte man glauben können, dass die Essenz der Kunst für immer und ewig hier blieb, bereit zur nächtlichen Vorführung.
    Schön wär das, in den Armen der Monroe zu liegen, überlegte Brendan, aber wenn das Schritte waren, die sich da von oben her näherten, dann gehörten sie nicht ihr: nicht das weiche Gesicht von Hollywoods totem Traum, sondern das

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