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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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wiederfand, nach der er gesucht hatte. Dort ging es trotz der inzwischen weit fortgeschrittenen Stunde noch recht belebt zu. Der Junge erkannte ihn wieder, aber er sprach ihn nicht an. Angst und Verbitterung lagen in seinen vom Hieb geschwollenen Zügen.
    Simmon blieb vor ihm stehen. „Tut mir leid wegen vorhin.“ Er reichte ihm die Hand. „Glaubst du mir?“
    Der Bubi glaubte ihm und ergriff den ihm entgegengestreckten Arm, umschlang ihn gar mit Zuneigung und Wärme. Er trat hervor und hauchte ein paar Küsse ins Simmons Gesicht. „Ja, ich glaub´ dir“, flüsterte er zwischen Atemholen und Liebkosungen. Ein metallisches Klicken mischte sich in das Geräusch von Kleiderrascheln und Hingabe, aber der Junge störte sich nicht daran. Das Messer jedoch, das sich in seinen heiligen Körper wand, ließ ihn schreien und zweifeln. Entsetzt machte er sich los und starrte Simmon an. „Was tust du?“ Er konnte es nicht begreifen. Mit schreckgeweiteten Augen begutachtete er die Wunde. Sie war schmerzhaft, aber nicht schlimm. Die Tat war schlimmer, für sie gab es keine Wiedergutmachung.
    Nochmals stieß Simmon zu. Das Messer fand das Ziel von selbst, fuhr durch Kleidung und Fleisch, säbelnd, zapfend, ganz beseelt von der raschen Suche nach Blut und Tod. Er spürte das Blut, das aus dem Jungen herausspritzte, Simmon riß die Klinge nach oben, durch jeden Widerstand, und es floß noch mehr. Ein heißer Klumpen striff seine besudelte Hand und klatschte zu Boden. Er verkantete das Messer nochmals, es zertrennte pulsierendes Gedärm, und der Junge zuckte in einem ekstatischen Tanz und schrie seinen Schmerz nun lauthals heraus. Er versuchte, sich voller Verzweiflung loszureißen, aber dazu fehlte ihm nun die Kraft. Simmon, der völlig blutbesudelt war und die Zähne zu einem Grinsen fletschte, das nun tatsächlich verwegen aussah, hatte keine Mühe, sein Opfer zu halten.
    Dunkle Gestalten näherten sich, angelockt von der Ablenkung die einen, angewidert vom Rausch die anderen. Die wenigen, die helfen wollten, kamen zu spät. Ein letzter Handstreich noch – die Klinge durchstieß mühelos das weiche, nachgiebige Fleisch am Hals -, und der Blick des Jungen verlor jeden Vorwurf. Ermattet sank er zu Boden, in ein warmes Bett aus Blut, welches sich ausdehnte und den Rinnstein erreichte. Einem demütigen Sohn gleich lag sein prächtiger Körper zu Simmons Füßen.
    „Du kriegst mich nicht, Muller“, murmelte er leise.
    Die Zuschauer, die nach einigen Sekunden ihren Schock überwunden hatten, warfen sich auf ihn, entwanden ihm das Messer und zerrten ihn nieder. Dort lag er, überspült von der Menschenmasse, ohne Gegenwehr. Er schaute auf Köpfe, deren Anklagegesichter eines besagten: Du bist ein Schwein. Und diejenigen, die seinen Blick erwiderten, sahen, dass er zufrieden lächelte.

Gräber von Helden und Schändern

    Das kleine Kino, das im Schatten finsterer Gebäude kauerte, hatte bessere Zeiten gesehen, darin unterschied es sich in nichts von der Stadt. Hier waren einst Casablanca und Jenseits von Eden aufgeführt worden, als Vergnügungen noch ein Boom und die Protagonisten wahre Helden gewesen waren. Heute liefen Filme dort, die mit plumper Einfalt den Schrecken verkaufen wollten.
    Brendan hielt ein zerknittertes und von Zigaretten angesengtes Programmheft in Händen und überschaute die Vorführungen dieses Monats. Er kannte die Definition des wahren Horrors besser als die Filmemacher. Wer einen Großteil seines Lebens in Gefängnissen und Heimen verbracht hatte, der wusste, dass die Wirklichkeit schlimmer war als billige Illusionen. Schlaflose Nächte lang auf harten Pritschen zu liegen und Dreckmuster an den Decken und Wänden zu studieren und in ihnen Botschaften zu erkennen glauben: Das war Horror. Mit Männern, deren Augen einen freudlos-starr anschauten, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen und die Mahlzeiten einzunehmen - womit hätten Filme das noch überbieten sollen? Dort gab es immer noch die Hoffnung auf ein glückliches Ende, aber für Brendan war Hoffnung ein verlorenes Wort; wie Kindheit. Warum machten sie nicht Filme darüber, warum erfreuten sie sich an Gewittern und einäugigen Bestien?
    Die Bilder, die neben den grell-schaurigen Titeln prangten, tanzten vor Brendans Augen: Leichen waren da, bis zur Unkenntlichkeit zerschlitzt oder verbrannt, oder Menschen, die von Irren durch die Dunkelheit gehetzt wurden, und Frauen, die sich vor Brendan aufspreizten und seinen Blick mit dem Versprechen auf Exzesse

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