Totenrache und zehn weitere Erzählungen
eines blutbefleckten Schlächters. Brendan spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat, während er über die leeren Sitzreihen hinwegstarrte. Wenn er einfach davonliefe? Der Gedanke kam urplötzlich über ihn. Aber was dann?, überlegte er. Er kannte McCeans schlimmen Namen von aufgeschnappten Gesprächsfetzen her. Stimmte von diesen Geschichten auch nur ein kleiner Teil, dann rührte dieser Mann offenbar mit jedem Finger in den ertragreichen Trögen der Stadt: Hotels, Vergnügungszentren, Wettbüros, und sicherlich erachtete man auch in der Drogenszene sein Wort als Gebot. Es lag auf der Hand, dass Brendan immer wieder seinen Weg kreuzen würde.
Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er zu MacCeans Objekten gehörte, nicht weniger abschreibbar als dieses Kino.
Seine Nackenhärchen richteten sich plötzlich auf und drängten die Sinnlosigkeit seines Fluchtgedankens zurück. Ein leises, kaum zu hörendes Geräusch näherte sich ihm da. Er wirbelte herum und starrte auf ein Podium der vor ihm aufwachsenden Schatten. Die Deckenlampen leuchteten lediglich einen kleinen Teil des Innenraums aus, und Brendan stand da als ihr verräterischer Mittelpunkt. Wer immer sich ihm da näherte, war über jede seiner Regungen bestens informiert.
Er war beileibe kein Feigling, jedenfalls hatte er nie Konfrontationen gescheut, auch die aussichtslosen nicht, aber jetzt spürte er, wie sich sein Mund öffnete, um den Angreifer mit Gekreisch statt Prügel in die Flucht zu treiben. Mit dem Geschmack bitterer Galle jagte ihm da der Schrei zur Kehle rauf, aber er vergaß ihn herauszubrüllen, als er einen Schatten unter Schatten sich in Bewegung setzen sah.
Die Kälte des Schocks sackte in sämtliche Glieder und umklammerte sein stockendes Herz, wie körperlicher Schmerz. Durch irgendeinen unerklärlichen Effekt schien der Raum vor Brendans Augen wegzukippen oder in die Falten der Finsternis fortzuschlingern; was übrig blieb, waren er und der Besucher, dessen Schatten auffaserte, als er die Grenze zwischen Finsternis und Licht erreichte. Der Taumel blinden Entsetzens warf Brendan zurück; seine Beine stolperten ineinander, als er gegen den Eimer trat, in den er zuvor den Dreck geschaufelt hatte. In einem grauen Kleid aus Staub, zermalten Popcorn und Zigarettenkippen stürzte er zu Boden. Mit dreckverschmierten Händen und tränenden Augen robbte er orientierungslos weiter, bis er eine Sitzreihe ertastete, unter die er kroch, gleichwohl etwas ihm sagte, dass ein Entkommen von dort erst recht unmöglich wurde.
Er spürte erst jetzt, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen, die ihm helle Spuren durch die neue Schmutzhaut zogen und seinen Kummer sichtbar machten. Ständig loderte die Befürchtung auf, dass klamme Hände ihn von hinten packen würden - wie er sich auch umherdrehte: immer von hinten. Über ihm weiteten sich die Sitzflächen zu einem Himmel aus, als er sich noch enger zusammenrollte; vereinzelt sah er Kaugummiklumpen auf ihren Unterseiten kleben.
Vor ihm tauchte ein Paar Beine auf, und Brendan runzelte die Stirn vor Anstrengung, das Puzzle zusammenzufügen und schaute eine Weile auf dieses Bild. Das war ... Er schüttelte den Kopf und hätte lachen mögen, als er sich seinen Irrtum eingestand. Er dröselte sich vorsichtig aus dem komplexen Gefüge seines Verstecks heraus und starrte auf ein schmales, blasses Gesicht und auf Hände, die in ihrer Beschaffenheit kaum anders waren. Brendans Erleichterung entlud sich in einem zitternden Seufzer, als er die zierliche Frau musterte. Diese Möglichkeit der Erlösung vor dem Schrecken hatte er nicht einkalkuliert.
Und nicht diese Schönheit. Die Besucherin kam näher und verließ vollends die Dunkelheit, als wollte sie im Licht und in Brendans Bewunderung baden. Wirklich, ihre Schönheit war vollendet. Er starrte in ihre schwarzen Augen und schien in sie wie in Schächte hinabzustürzen, aus deren Tiefen heraus ein sanftschimmender Mittelpunkt lockte, nach ihm zu forschen. Und ihr Gesicht: Kein Vergleich zu einem vormals gesehenen und geliebten. Es zu sehen, konnte einem nur Seufzer der Begeisterung entlocken. Die Frau schaute ernst drein und erwiderte seinen Blick gelassen. Was früher Angst gewesen war, schlug um in Verzückung; wogegen Brendan sich vormals gesträubt hätte, hätte er nun für ein Lächeln zur Belohnung aus diesem Gesicht getan. Seine Augen brannten, weil er nicht zu blinzeln wagte. Er wollte den Zauber bannen, solang es ging.
„Wer bist du?“, fragte er
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