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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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mehr schenken musste, beachtete er verstärkt die Details von New Yorker Bestien . Grade eben wurde ein Mann von einer klauenbewehrten Ungestalt enthauptet, und man sah deutlich, trotz des sich vor die Szene senkenden Blutschauers, dass das Opfer eine Puppe war, mit mehr Makeln als Menschlichkeit. In der Folgeszene schwenkte die Kamera um und zeigte einen verlassenen Hinterhof, wo eine weitere Bestie über eine Frau herfiel, deren Gekreisch Todesangst vorgaukeln sollte. Mit gefühlsvergittertem Gesicht starrte sie gen Himmel, während sie ihrem Mund weitere Schrei entlockte, bis ein Hieb und weiteres Blut sie zum Verstummen brachten.
    Brendan lächelte vor sich hin und schaute über die Sitzreihen hinweg, um festzustellen, ob auch einige der Zuschauer dieser Oberflächlichkeit gewahr wurden. Sein Grinsen zerplatzte zu einer Grimasse des Erstaunens: Die Frau und der Lude waren fort, in den wenigen Minuten der Entlarvung des Films verschwunden. Er überflog den Saal mit zusammengekniffenen Augen, weil sie von einer Feuersbrunst auf der Leinwand geblendet wurden, fand sie jedoch nirgends.
    Sie konnten das Gebäude nicht verlassen haben; Brendan stand unmittelbar neben dem einzigen Ausgang. Er hätte ihre Flucht bemerkt. Es gab jedoch eine weitere Tür auf der gegenüberliegenden Längsseite des Saals, durch die man in die Privaträume gelangte. Über ihr hing ein Schild mit dem ausdrücklichen Eintrittsverbot für Unbefugte. Brendan ging hinüber und lauschte in die Stille des kahlen Flurs hinein. Sämtliche Türen, die er von seinem Standort sehen konnte, waren geschlossen, lediglich eine war nur angelehnt; dies hielt er für ein trügerisches Zeichen. Dahinter befand sich der Keller, wie er wusste. Misstrauisch äugte er über die Stufen hinweg in die Tiefe. Zwar entdeckte seine an der Wand fingernde Hand einen Lichtschalter, aber die Glühbirnen waren herausgedreht oder defekt. In den Winkeln fing sich das Getöse neuer Massaker, welche die New Yorker Bestien dem Publikum darboten, dennoch glaubte er drunten etwas zu hören - oder auch nicht. Er kannte die Neigung seiner Fantasie, ihm Hirngespinste vorzugaukeln, scheinbar aus purer Bosheit.
    Die Stufen unter seinen Füßen waren uneben und halsbrecherisch. Er tappte vorsichtig den Gang entlang, der sich der Treppe anschloss, bis er sich seines Feuerzeugs entsann, das er immer bei sich trug. Das blaugelbe Flämmchen zerrte seinen Schatten ans Licht, der unruhiger war als Brendan selbst. Das war beinah ein Tausch zum Schlimmeren, aber die Flammen zu löschen und die Dunkelheit wiederherzustellen, wagte Brendan nicht. Er fühlte die Furcht in seinen Eingeweiden nagen. Vom Film war hier unten nichts mehr zu verstehen; nur noch ein vager Geräuschebrei, der an seine Ohren drang
    Vorn sah er eine Tür sich andeuten und ging auf sie zu. Er forschte nach einer Klinke, fand sie und drückte sie herunter. Sie widerstrebte seinen Bemühungen zunächst, aber nach einem kräftigen Ruck gab sie ihren Widerstand auf. Die Tür schabte mit ihrer Unterseite über den Boden, und er fragte sich, wie weit dieses Geräusch zu hören war.
    Schale Luft drang ihm in die Nase; da war nichts Menschliches dran. Wahrscheinlich war seit Jahren niemand hierin gewesen. Der Raum stellte entweder ein Archiv oder eine Abstellkammer dar. Hunderte verstaubte und rostige Filmrollen lagen oder stapelten sich in deckenhohen Regalen.  
    Ein Grab, dachte er; das hier ist wie ein Grab, so still und heilig.
    Brendan tauchte wahllos in einen der zahlreichen Gänge zwischen den Regalstreben unter und nahm eine der Blechrollen in die Hand. Als er eine zweite Haut aus Staub fortgeblasen hatte, kam ein Etikett zum Vorschein, dessen Schrift jedoch der toten Luft zum Opfer gefallen war. Nur andeutungsweise tanzten ihm Buchstaben vor den zusammengekniffenen Augen, ohne dass Brendan aus dem Puzzle schlau wurde. Er brach sich beinahe einen Fingernagel ab bei dem Versuch, den Behälter zu öffnen, nachdem Dreck und Hitze und Vernachlässigung die beiden Hälften untrennbar miteinander vermählt hatten. Schließlich gelang es ihm, den Deckel anzulupfen. Wie eine Frucht lag die Filmrolle darin; sie zu sehen, weckte in Brendan den Wunsch, später, wenn alle Besucher gegangen waren und seine eigentliche Arbeit begann, die Projektoren in Gang zu setzen und eine Privatvorstellung zu genießen.
    Er legte den Film liebevoll in seinen Sarg zurück und wollte den Raum wieder verlassen, als er etwas wahrnahm, das ihm vielleicht

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