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Totenreigen

Totenreigen

Titel: Totenreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Lykk
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Flensburg nicht genauso?«, fragte Vehrs.
    »Flensburg ist eine große Stadt. Da muss man ständig in der Zeitung
zu sehen sein, damit man Sie kennt. Die vergessen schneller. Laboe ist immer
noch ein Dorf. Wenn ich diesen Fall übernehme, wird sich das hier schnell
herumsprechen, dass der Kommissar, der den Mord in der Strandstraße untersucht,
der Eric Lüthje ist, der hier geboren wurde und aufgewachsen ist. Schulfreunde
und sonstige Bekannte werden sich an mich erinnern und sagen: ›Ach ja, den
haben wir in den letzten Jahren hier im Dorf öfter gesehen, der war schon immer
komisch.‹ Einige Leute werden sich darüber beklagen, dass sie von der Polizei
vernommen worden sind, auf meine Anweisung hin oder sogar von mir selbst. Man
hat sie schlecht behandelt, verdächtigt, beschuldigt, vielleicht nicht gerade
wegen des Mordes, aber wegen anderer Dinge, denen wir so nebenbei auf die Spur
gekommen sind. Ahnen Sie, was das alles für mich in Gang setzen kann?«
    Sie waren inzwischen wieder am Gartentor des Hauses angelangt.
    Ein junges Paar auf Fahrrädern, mit einem kleinen Kind im Anhänger,
hielt neben ihnen an.
    »Wissen Sie, was da passiert ist?«, fragte die Frau ängstlich und
deutete auf das Haus und die weißen Gestalten der Spurensicherung.
    »Das wüssten wir auch gern«, sagte Lüthje nachdenklich.
    Als sich die junge Familie weit genug entfernt hatte, sagte er: »Die
Spurensicherung soll Fotos von der Rückseite des Hauses machen. Hier vom
Promenadenweg und dort hinten vom Hexenstieg aus, an dem wir vorbeigekommen
sind. Aus der Perspektive einer Person, die sich dem Haus nähert. Auch kurz vor
der Dämmerung. Und morgens. Und Sie, Vehrs, befassen sich noch mal mit der
Selbstmordakte. Ich komme dann auf Sie zu.« Er atmete tief durch und fügte
hinzu: »Spätestens heute Abend werde ich Ihnen sagen, wie ich mich entschieden
habe. Ich werde der Frau Klockemann jetzt meine Aufwartung machen. Sonst ist
sie beleidigt und redet im Dorf schlecht über uns.«
    Auf dem Weg zur Strandstraße wandte er sich noch einmal zu Hoyer und
Vehrs um und rief ihnen zu: »Vergessen Sie nicht, dass es mit mir manchmal auch
nicht einfach ist!«

4.
    Frau Klockemann wohnte in einem zweistöckigen Haus, das
aussah wie ein englisches Landhaus mit einem reichlichen Schuss Schwarzwälder
Weihwasser. Auf dem spitz zulaufenden Giebel thronte ein langer Schornstein aus
rohen Steinen. Die Hausfront war oberhalb des Dachrinnenniveaus mit schwarzen
Dachschindeln verkleidet.
    Als er sich der Haustür näherte, sah er hinter den Sprossenfenstern
mit bunten Gläsern, die zum Treppenhaus gehörten, eine Gestalt hinunterhuschen.
    Man hatte ihn also kommen sehen. Die Haustür war ebenfalls bunt
verglast, aber hier hatte das Dekor mehr kirchlichen Charakter. Ein paar Kreuze
in der Bleiverglasung betonten die Bedeutung des Schriftzuges unter dem
messingblanken Türschild. »Klockemann – Bestattungen aller Art«.
    Eine zierliche Frau mit spitzer Nase öffnete und hauchte: »Ja,
bitte?«
    Lüthje stellte sich vor und zeigte seine Dienstmarke.
    Die Frau lächelte süßlich. »Ich habe Sie schon erwartet. Treten Sie
näher.« Sie ließ ihn ein und schloss die Tür, nachdem sie mit ruckartigen
Kopfbewegungen wie ein Huhn zur Strandstraße, zum Drübbisch-Haus und zur
Hofseite gesehen hatte.
    »Wir haben Bereitschaftsdienst. Ausgerechnet heute!«, warf sie ihm
mit kecker Kopfbewegung über die Schulter zu, als sie vor ihm durch den Flur
ins Wohnzimmer ging. Es roch nach gekochtem Geflügel.
    »Bereitschaftsdienst?«, fragte Lüthje, als er in einem alten
dunkelbraunen Ledersessel versank.
    »Sie sind der Hauptkommissar?«
    »Kriminalhauptkommissar. Und Sie sind Frau Klockemann?«
    »Ja. Und Sie sind Herr Lüthje, so war doch Ihr werter Name?«
    Lüthje nickte gnädig.
    Sie trug eine kleine Brille mit runden, randlosen Gläsern, die wie
angeklebt auf der Spitze ihrer langen Nase saß. Er schätzte sie auf über
sechzig. Die dünnen grauen Haare waren streng nach hinten gekämmt und mit einer
goldenen Brosche zu einem kleinen Dutt zusammengelegt. Die Gesichtshaut schien
gestrafft zu sein, die etwas abstehenden Ohren liefen nach oben spitz zu. Ein
dunkelgrüner Schal verbarg ihren Hals, ein dicker Wollpullover in frischem Grasgrün
versuchte, ihre dürren Schultern zu umschmeicheln.
    »Ich hab Ihren Untergebenen bereits umfänglich Auskunft gegeben«,
sagte sie in anklagendem Ton. »Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen sonst noch
helfen könnte. Obwohl ich

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