Totenreigen
guten Blick
auf die Nachbarschaft hat«, sagte Lüthje, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Sie
haben meiner Kollegin gesagt, dass Ihnen nichts aufgefallen sei. Gestern Abend.
Oder früher. Denken Sie mal nach, wenn sich der Schrecken bei Ihnen gelegt hat.
Und dann melden Sie sich bei uns.«
»Ihre Kollegin Frau Hoyer ist eine sehr nette Person. Grüßen Sie sie
recht herzlich von mir. Die hat so viel gefragt. Ich weiß ja nicht, was Sie so
alles wissen wollen. Aber da gibt es schon einiges, was komisch ist«, sagte
sie.
»Ja?«
»Na ja. Der Selbstmord zum Beispiel.«
»Sie meinen den vor ein paar Monaten?«, fragte Lüthje.
»Sie wissen davon?« Sie versuchte, ihre Enttäuschung mit einem
Lächeln zu verbergen.
»Ja, natürlich«, sagte Lüthje.
»Dass er sich mit einer Hundeleine aufgehängt hat?«
»Ja. Nett von Ihnen, dass Sie mich darauf aufmerksam machen«,
antwortete Lüthje. »Ich werde mir die Akte ansehen müssen.«
»Wissen Sie auch …«, sie senkte die Stimme und beugte sich zu ihm
vor, »… dass jemand die Hunde von dem armen Mann getötet hat, also ich
meine den Gatten von der Frau Drübbisch, dessen Sohn jetzt nebenan ermordet im
Flur liegt? Und die Hundeleinen hat jemand vor die Haustür gelegt. Und dann hat
der arme Mann sie da gefunden, als er nach Hause kam, und die Frau war über
alle Berge … aber konnte ja auch keiner wissen, dass er sich das mit den
Hundeleinen so zu Herzen nimmt, nicht? Hätte doch auch sein können, dass er das
versteht, so als Zeichen, ›sieh her, das ist auch einer der Gründe, warum ich
mich von dir trenne, wenn die Hunde dir wichtiger sind als ich‹ oder so …« Sie
verschränkte die Arme und nickte bedeutungsvoll, die Lippen in gespielter
Wichtigkeit zusammengepresst. »… weil die Drübbisch ihr Haus verkaufen
wollte, ist sie nach der Trennung ausgezogen, statt ihren Mann rauszuwerfen.
Durch den Selbstmord des Mannes war sie das Problem los, das Haus war
unbewohnt, und jetzt findet sich vielleicht bald ein Käufer.«
»Und was wollen Sie damit sagen?«
»Gar nichts«, sagte sie schnippisch und führte ihre Tasse mit
abgewinkeltem kleinem Finger zum Mund, hielt in der anderen Hand die Untertasse
und sah ihn über die Brillengläser vielsagend an. »Es ist, wie es ist.«
»Sie sind eine gute Beobachterin, Frau Klockemann. Wie gesagt, ich
werde mir die Akte durchlesen und dann auf Sie zurückkommen, wenn ich noch
Fragen habe. Ist Ihnen nicht noch etwas eingefallen, was uns bei unseren
Ermittlungen weiterhelfen könnte? Auch vielleicht etwas scheinbar
Nebensächliches, was aber aus dem Rahmen fällt.«
»Ich muss das alles noch einmal durchdenken. Ich stehe noch unter
Schock. Das hat mich sehr mitgenommen. So direkt neben an. Stellen Sie sich
vor, Ihr Nachbar liegt eines Tages tot, ermordet in seinem Haus.« Sie lehnte
sich wieder zurück und sah ihn eine Sekunde schweigend an, mit
zusammengekniffenen Augen, dann schaltete ihr Gesicht wieder zurück.
»Wie ist er denn zu Tode gekommen?«, fragte sie mit gesenkter Stimme
und beugte sich so weit zu ihm vor, als würden sie in einer voll besetzten
Kneipe sitzen.
»Ich kann Ihnen dazu gar nichts sagen. Wir haben gerade erst mit der
Spurensicherung angefangen. Die Männer in den weißen Overalls, die haben Sie
doch bestimmt gesehen.«
»Wie oft sind Sie eigentlich in Laboe?«, fragte sie, ohne auf seine
Antwort einzugehen.
»Ich bin beruflich in Flensburg tätig, hier also eher selten.«
»Na ja, dann wissen Sie wohl nicht, dass es hier manchmal richtig
gruselig ist.«
»Ach, nein, wirklich? Erzählen Sie mal«, fragte Lüthje.
»Der Lambert Sundermeier, der ist behindert …« Sie rutschte ein
paarmal nervös im Sessel hin und her, das Blut stieg ihr ins Gesicht. Die Hände
gestikulierten fahrig.
»Sundermeier? Wohnen die nicht im übernächsten Haus?«, unterbrach
Lüthje sie eifrig.
»Ja, leider. Es ist so, wie es ist. Der läuft ständig ins Ehrenmal,
ins Treppenhaus, und von ganz oben singt er dann, das hört man bis hier und,
wenn der Wind richtig steht, bis ins Dorf, so ein ganz schreckliches Wimmern
ist das dann, dass die Kinder sich fürchten und schlechte Träume kriegen. Man
spricht doch heutzutage so oft von psychologischem Stress und dass das
schädlich ist. Das kann doch Menschen auch in den Tod treiben …«
»Wenn Sie das als Ruhestörung empfinden, sollten Sie sich an Herrn
Steffens von der Polizeistation Laboe wenden und …«
»Ach der, hören Sie mir auf mit dem. Nein, auf
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