Totenreigen
Zusammenhänge. Die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen
Fliegenbeinen, zum Beispiel zwischen dem Alter des Stoffgewebes, Schmutzspuren,
Waschmittelresten, DNA -Spuren und so weiter«,
sagte Prebling.
»Ja, schon gut. Eins zu null für Sie«, sagte Lüthje. Warum macht mir
der Mann Komplimente, statt mich zu fragen, ob ich den Fall nun übernehme?,
dachte Lüthje. Was hatte Schackhaven ihnen vorher erzählt? Wahrscheinlich gar
nichts. Aber irgendetwas sickerte immer durch.
Die Hintertür des Hauses öffnete sich, und Hoyer und Vehrs kamen in
den Garten. Sie begrüßten sich mit Handschlag. Es entstand eine Pause, in der
sie alle angestrengt auf das Kleid an der Hauswand starrten.
»Wohnt noch jemand im Haus, stehen noch Möbel herum?«, fragte
Lüthje.
»Nein, es ist fast besenrein«, sagte Kommissarin Hoyer. »Na ja, der
übliche Kleinkram, den man beim Auszug mal vergisst. Schraubenzieher, Dübel in
der Wand, Spinnen in ihren Netzen, Käfer, Motten und alte Zeitungsreste auf dem
Boden und ein Holztisch im Keller.«
Prebling wurde von einem seiner in den Beeten knienden Mitarbeiter
gerufen und verabschiedete sich erleichtert.
»Was sagt die Nachbarschaft?«, fragte Lüthje.
»Die Laboer Kollegen haben ein paar Nachbarn im nächsten Umkreis
befragt. Soweit überhaupt jemand zu Hause war. Nichts Konkretes, nur
Mutmaßungen. Ein schwarzes Auto, ein komischer Mann oder seit Wochen ein
komischer Geruch von dem Haus hier. Solche Dinge hört man da«, sagte
Kommissarin Hoyer. »In den beiden Häusern links und rechts waren wir schon.
Links war ich. Da wohnt eine ältere Dame, Ingrid Klockemann. Seniorchefin eines
Bestattungsunternehmens in Kiel. Steffens meint, sie ist schon seit fünfzehn
Jahren auf dem Altenteil. Der Sohn hat sie nicht mehr im Betrieb haben wollen.
Ansonsten machte Frau Klockemann einen entsetzten, aber gleichzeitig sehr
interessierten Eindruck auf mich. Auf fast jede Frage antwortete sie, sie müsse
erst einmal darüber nachdenken. Und dann …«
Hoyer machte eine Kunstpause und sah Vehrs an. Vehrs inspizierte mit
einem Stirnrunzeln den ungepflegten Rasen zwischen den Beeten.
»Sie kennt den Mörder?«, fragte Lüthje.
»Knapp daneben«, sagte Hoyer. »Sie sagte, es habe hier vor ein paar
Monaten einen Selbstmord gegeben. Die Witwe soll in zweiter Ehe mit dem
Selbstmörder verheiratet gewesen sein. Ihr Sohn soll auch noch eine ausgebaute
Wohnung im Dachgeschoss gehabt haben. Kann man sich vorstellen, mit der
Aussicht.«
»Das war doch Ihr Zuständigkeitsbereich, wieso wussten Sie nichts
davon?«, fragte Lüthje.
Hoyer sah Vehrs mit einem Blick an, der sagte: Nun mach doch endlich
auch mal den Mund auf!
»Ich war damals noch auf der Polizeizentralstation in Schleswig«,
erklärte sie.
»Herr Schackhaven hat Ihnen davon nichts erzählt?«, sagte Vehrs
ausweichend zu Lüthje gewandt. »Die Akte ist abgelegt. Wir haben damals mit
Herrn Schackhaven darüber diskutiert. Aber es war alles ausermittelt. Hätte
Schackhaven Ihnen doch sagen können.«
»Hat er aber nicht. Hab ich mir doch gedacht, dass er etwas
verschweigt«, antwortete Lüthje genüsslich. Stationsleiter Steffens. Das war
es, was seine Frau im Hintergrund dazwischengeredet hatte. Alte
Dorfgeschichten. »Glauben Sie, dass es eine Verbindung zwischen dem Selbstmord
und diesem Mord gibt?«
»Nein. Aber Frau Klockemann sieht das wohl anders. Sonst hätte sie
nicht auf diesen Selbstmord hingewiesen.« Hoyer strich sich die langen Haare
mit der rechten Hand vom Nacken auf die Schulter. »Die Frau Klockemann mochte
mich nicht.«
»Wie kann jemand Sie nicht mögen?«, fragte Lüthje schmunzelnd.
»Vielleicht hat sie gemerkt, dass ich sie auch nicht mochte. Eine
starke Antipathie auf den ersten Blick.«
»Ich werde sie mir mal ansehen. Lag der Selbstmörder auch in der
Abstellkammer?«, fragte Lüthje.
»Er hing an einer Hundeleine im Baum. Dem da.« Vehrs deutete auf
einen der Apfelbäume. »An dem kräftigen Ast, der nach Osten zeigt.« Nach der
bei ihm üblichen Pause des Nachdenkens setzte er hinzu: »Ist seitdem schon
wieder ein Stück gewachsen.«
»Haben Sie die Nachbarn auch nach dem Kleid gefragt? Seit wann das
da hängt?«, fragte Lüthje.
»Die Nachbarn rechts und links können die Hofseite dieses Hauses nur
sehen, wenn sie in ihren eigenen Garten gehen«, sagte Hoyer. »Und dann auch
nur, wenn sie zwischen den Baumkronen ihrer belaubten Apfelbäume eine Lücke
finden, die den Blick auf das Kleid freigibt.«
»Das
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