Totenreigen
Hintertür.
Warum hat er sich nicht auf der Stelle umgedreht und ist wieder raus?«
Prebling zuckte mit den Schultern.
Lüthje lächelte. »Sie denken gerade, das ist Gott sei Dank nicht
mein Problem. Und da muss ich Ihnen recht geben.« Aber meins vielleicht auch
nicht, dachte Lüthje.
Prebling zuckte wieder mit den Schultern.
»Ich fürchte, ich muss jetzt einen Blick auf das Opfer werfen«,
sagte Lüthje.
»Dazu müssen wir den Flur vom Hintereingang her betreten«, sagte
Prebling und deutete auf die Blutlache vor ihnen.
»Wo sind Hoyer und Vehrs?«, fragte Lüthje, als er hinter Prebling
den ungepflasterten Weg entlang zur Rückseite ging.
»Die sehen sich gerade die Räume einer Mansardenwohnung im
Dachgeschoss an. Wir müssen durch den Garten zum Hintereingang«, sagte
Prebling.
Lüthje ging ihm hinterher. Der Garten sah trostlos aus. Ein paar
Bäume, einige mit Steinen eingerahmte Beete, alles von Unkraut hoch
überwachsen.
»Da sind die beiden«, sagte Prebling und wies zu einem Giebelfenster
dicht unter dem Spitzdach. Hoyer und Vehrs.
Lüthje hatte sie schon einmal in Kiel bei einem Fall kennengelernt,
an dem Malbek und er zusammen gearbeitet hatten. Sie winkten sich gegenseitig
zu. Im Garten zwitscherten die Vögel und stritten sich mit den Möwen. Die
Wolkendecke hatte sich über die Ostsee verzogen. Der Seewind fächelte durch die
dicht be laubten Baumkronen der alten, knorrigen Obstbäume und ließ das
Sonnenlicht über den Rasen schimmern. Es fühlte sich an wie Sommerurlaub.
Jedenfalls wenn man sich die Männer und Frauen der Spurensicherung
wegdachte, die jeden Quadratzentimeter des Gartens absuchten. Irgendwie war
Lüthje Prebling dankbar für diese unbewusst herbeigeführte Pause vor der
Annäherung an das Mordopfer.
Lüthje bedeutete Hoyer und Vehrs, nach unten zu kommen.
»Na denn«, sagte Lüthje, griff sich ein Stück Knäckebrot aus der
Jackentasche und betrat mit Prebling das Haus durch den Hintereingang. Dr. Brotmann
hatte sich aus seiner Hockstellung erhoben und betrachtete immer noch die
Leiche.
Das Opfer lag zusammengesackt in der Abstellkammer. An der Rückwand
des kleinen Raumes sah Lüthje eine senkrechte, stumpf glänzende Blutspur, die
bis zum Kopf des Opfers lief, das etwas verdreht an der Wand lehnte.
»Ihm ist von hinten die Kehle aufgeschnitten worden«, sagte Dr. Brotmann,
ohne den Blick von der Leiche abzuwenden. »Das Blut ergoss sich auf die Wand,
er fiel seitlich dagegen, rutschte an ihr herunter, die Beine wurden vom
nachsackenden Körper ein wenig in den Flur hineingeschoben. Der Täter stand
hinter dem Opfer. Ob es einen Kampf gab, kann ich erst nach der Obduk tion
sagen. Aber es sieht nicht danach aus.«
Sie gingen hinaus ihn den Garten. Lüthje holte tief Luft.
»Hast du noch Fragen?« Dr. Brotmann zog seinen Autoschlüssel
aus der Hosentasche.
»Du musst gleich wieder los, stimmt’s?«« fragte Lüthje.
»Ich hab einen Gutachtertermin. Ich ruf dich an!«, rief er Lüthje
über die Schulter zu und lief zur Straße.
Lüthje und Prebling kehrten zurück in den Garten.
»Sehen Sie sich mal die Rückseite des Hauses genau an«, sagte
Prebling zu Lüthje.
Etwas tiefer im Garten stand eine kleine Holzhütte, umgeben von
einem mannshohen Gitterzaun. Die Holztür war geschlossen. Es sah aus wie ein
Hundezwinger. Links neben der Hintertür, unter dem Abflussrohr der Regenrinne,
stand ein alter Wäschekessel. Daneben lehnte ein Lamellenwindschutz an der
Hauswand. Dar über war ein großes Gartenfenster mit Tür.
»Da hängt ein Kleidungsstück an der Hauswand«, sagte Lüthje.
»Ein Kleid. Es ist am Badezimmerfenster im ersten Stock befestigt«,
sagte Prebling. »Auf einem Bügel, der mit Paketbindfaden am Fensterhebel
befestigt und im geschlossenen Fenster festgeklemmt ist. Kollegin Hoyer hat die
Hauseigentümerin angerufen, ob das Kleid ihr gehört. Die wusste von nichts.«
Die Rückwand des Hauses ging nach Südosten. Vielleicht hatte es
jemand zum Trocknen hinausgehängt. Aber wer? Und wann?
»Sie sichern es?«
»Natürlich. Aber wir wollten, dass Sie es sehen, dort an der
Hauswand. Sie bemerken vielleicht etwas, was wir als Fliegenbeinzähler
übersehen. Auf den Tatortfotos sieht alles immer irgendwie anders aus.«
»Danke für das Kompliment. Sie kennen also meinen Spitznamen …«,
sagte Lüthje.
Prebling druckste herum.
»Ja, Lupenkieker wollten Sie sagen, richtig«, sagte Lüthje. »Und was
soll ich da mehr finden als Sie?«
»Die
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