Totenreigen
dem Ohr ist der
taub.«
»Und was sagt der Vater?«
»Der arme Mann ist damit doch völlig überfordert. Und die Pädagogin
oder wie das heißt, die da manchmal ins Haus kommt, die unterstützt das sogar
noch, und das Kassenfräulein am Ehrenmal, die lässt den Lambert immer ohne
Eintritt rein, dem hat sie einen Chip gegeben, damit er immer gleich durch das
Drehkreuz gehen kann, da kommen Sie nicht so einfach durch, weil …«
»Frau Klockemann, mich interessieren zunächst nur die Dinge, die im
Haus der Familie Drübbisch passiert sind. Denken Sie vielleicht noch ein paar
Tage nach und …«
»Da brauch ich gar nicht lange nachdenken, da war doch der Mord in
den Siebzigern.«
»Welcher Mord?« Dass Schackhaven nichts davon wusste, wunderte
Lüthje nicht. Aber was war mit Steffens? Der musste doch einen direkten Draht
zum kollektiven Gedächtnis des Dorfes haben.
Ingrid Klockemann hatte Lüthjes Betroffenheit befriedigt bemerkt.
Sie streckte ihre dürre Gestalt, befeuchtete ihre fettigen Lippen und senkte
wieder die Stimme.
»Ihr Mann ist doch ermordet worden. Ihr erster.« Sie wartete
begierig auf seine Reaktion.
Sie hatte Kommissarin Hoyer nicht ernst genommen und nur auf den
Chef gewartet. Er las die Erwartung des Triumphes in ihrem Gesicht. Der
Kriminalhauptkommissar traf auf die Zeugin seiner
beruflichen Laufbahn, die ihm alle Zusammenhänge nahebringen konnte, bevor er
überhaupt richtig angefangen hatte zu ermitteln. Ihre Zungenspitze strich vor
Ungeduld über die untere Lippe.
»Wen meinen Sie?«, fragte Lüthje.
»Die Uschi Drübbisch, der das Haus gehört. Die verkaufen will. Ich
glaube, sie hat begriffen, dass es in dem Haus nicht mit rechten Dingen zugeht.
Erst der Mann ermordet, dann ihr zweiter Mann am Baum erhängt.« Nach einer
Pause setzte sie bedeutungsvoll hinzu: »Selbstmord sagt man ja.«
Sie lehnte sich befriedigt im Sessel zurück und verschränkte wieder
die Arme. Sie hatte es geschafft, den Kommissar zu beeindrucken.
»Vielen Dank für den Hinweis, Frau Klockemann. Dem werden wir
natürlich nachgehen. Eine Frage noch: Sind Sie Witwe?«
Sie ließ sich theatralisch nach vorn sinken.
»Mein Mann ist früh gestorben. Ich musste das Institut führen, bis
mein Sohn die Leitung übernahm.«
»Darf ich fragen, woran Ihr Mann gestorben ist?«
»Es war ein Dienstunfall. Er hat am Vorabend einer wichtigen
Bestattung noch einmal nach dem Rechten sehen wollen. So, wie er es immer
gemacht hatte …«
Oh Gott, noch ein Todesfall, dachte Lüthje.
»… ob die Friedhofsverwaltung das Grab für die Trauerfeier
richtig vorbereitet hatte. Da wird immer einiges falsch gemacht. Damit niemand
abrutscht, wenn die Blumen ins Grab als letzter Gruß hineingeworfen werden,
aber auch vorher schon, wenn der Pastor ans Grab tritt und … Die
Friedhofsarbeiter haben ihn am nächsten Morgen im ausgehobenen Grab gefunden.«
»Was war passiert?«
»Das Verfahren wurde eingestellt«, schluchzte sie empört. »Ein
Unfall soll es gewesen sein.« Sie zog eine Packung Papiertaschentücher aus
einer Außentasche des Sessels, trocknete die nicht vorhandenen Tränen im
Gesicht und schnäuzte sich so lautstark, dass Lüthje zusammenzuckte.
Also noch eine alte Akte, die er aus dem Archiv anfordern und
studieren müsste.
Lüthje entschloss sich angesichts des tränenlosen Geschluchzes auf
dem abgewetzten Ledersofa, die Bühne zu verlassen. Er fühlte sich erschöpft,
brauchte frische Luft. Der stickige Putendunst erfüllte inzwischen die Wohnung,
und ihm war, als ob seine Lippen plötzlich so fettig glänzten wie die von Frau
Klockemann. Sie saugte sämtliche Energie aus ihm, die sie immer mehr aufleben,
ihn aber im weichen Sessel dahindämmern ließ.
Nichts wie weg hier.
Er erhob sich mühsam, verabschiedete sich wegen dringender Termine
und schleppte sich zur Tür. Als er die ersten Züge belebender Ostseeluft in
seine Lungen sog und sich mit jedem Schritt in Richtung Strandstraße besser
fühlte, hörte er sie nach ihm rufen. Sie stand immer noch in der offenen Tür.
»Herr Kommissar, sind Sie nicht der kleine Eric Lüthje oben vom
Bergfriede, der immer Polizist werden wollte?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Lüthje entsetzt.
»Frau Jasch hat mal früher bei mir geputzt. Und dann hat sie
gekündigt, weil sie sich um das Haus eines Kommissars Lüthje kümmern sollte,
das an Sommergäste vermietet wurde. Und sie hat mir erzählt, wie nett Sie sind
und dass ihr Großvater Ihr Patenonkel war. Und
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