Totenreigen
Seltsamerweise hatte Sundermeier sich aber sorgfältig
rasiert und verbreitete den Duft eines herben Aftershaves, das Lüthje selbst in
seiner Jugend benutzt hatte, um Frauen zu beeindrucken, dessen Name ihm aber
nicht mehr einfiel.
Schwere Gardinen und burgunderfarbene Vorhänge vor den großen
Fenstern sperrten die Welt aus. Lüthje vermutete, dass sie dreifach verglast
waren. Das Rascheln der Briefumschläge, die durch Albert Sundermeiers Hände
glitten, erfüllte den Raum.
Albert Sundermeier hatte den Handzettel der Polizei aus dem Stapel
genommen und begann ihn mit gerunzelter Stirn zu lesen. Die Zimmertür öffnete
sich. Ein Mann mittleren Alters, mit einer Schale und einem Löffel in einer
Hand, machte einen Schritt ins Zimmer, hielt mit gesenktem Blick inne und
drehte auf der Stelle wieder um.
»Entschuldige, Lambert.« Albert Sundermeier sah auf. »Ich habe die
Zeit vergessen. Das ist Kriminalkommissar Lüthje. Einen Moment, wir gehen ins
Gartenzimmer.«
Albert Sundermeier nahm seine Post und bedeutete Lüthje, ihm zu
folgen. Er ließ die Zimmertür offen stehen. Lambert Sundermeier stand
unschlüssig im Flur und schien die beiden Männer nicht wahrzunehmen, die an ihm
vorbeigingen. Wie sein Vater vermittelte er den Eindruck eines zerstreuten
Privatgelehrten, der keinen Kamm besaß. Seine dunkelbraunen Haare drängten sich
vor den Gläsern seiner Nickelbrille, ohne dass ihn dies zu stören schien.
In dem Moment, als Lüthje hinter Sundermeier das Gartenzimmer
betrat, hörte er, wie sich die offen stehende Tür zum Strandzimmer schloss.
Lambert hatte das geräumte Strandzimmer betreten.
Sie setzten sich in zwei Sessel, die sich schräg gegenüberstanden,
mit Blick in den Garten. Das Gartenzimmer enthielt ebenso wie das Strandzimmer
keine Pflanzen, aber gab durch einen vollständig verglasten Anbau den Blick auf
einen kurz geschnittenen Rasen frei, der einem schottischen Golfplatz Ehre
machen würde.
Lüthje hatte sich sorgfältig einen alternativen Gesprächseinstieg
zurechtgelegt. Er wollte nach Sundermeiers Sohn fragen. Zu spät.
»Wundert es Sie nicht, dass ich noch hier wohne?«, begann Albert
Sundermeier unvermittelt mit erhobener Stimme. »Macht mich das verdächtig?« Er
wedelte mit dem Handzettel der Polizei herum.
»Wieso?«
»Als ich Sie gestern im Garten im Gespräch mit Ihren Mitarbeitern
sah, habe ich versucht, mich in Sie hineinzuversetzen. Sie sind doch der
leitende Beamte?«
»Woran kann man das erkennen? Sagen Sie jetzt bitte nicht am Alter !« Lüthje schmunzelte.
»Sie werden mir recht geben, dass das zumindest ein Anhaltspunkt
ist. Ich habe ja nicht gehört, was Sie gesprochen haben. Aber es ist die
Körpersprache, Ihre und die Ihrer Mitarbeiter, des Mannes und der Frau. Die
beiden waren in gewisser Weise aufeinander abgestimmt, als ob sie ein
Musikstück von einem unsichtbaren Notenblatt übten. Ich vermute, Sie kennen die
beiden noch nicht so lange.«
»Interessant.«
»Ich habe mir gestern die Antwort auf die erste Frage überlegt, die
Sie heute stellen würden.«
»Lassen Sie mich hören, was ich fragen will«, sagte Lüthje amüsiert.
»Ob wir dieses Haus verkaufen werden. Zwei Morde und ein Selbstmord
im Nachbarhaus. Da muss man schon gute Gründe haben, um zu bleiben.«
»Ich komme darauf zurück. Sie haben unseren Handzettel bekommen. Wir
fragen nach Beobachtungen, die mit dem Mord in Zusammenhang stehen und mit dem
Unbekannten mit dem langen Mantel, der kurz nach dem Mord im Haus war.«
»Nein, es tut mir leid, ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen, so
gern ich das möchte. Ich habe mich nie dafür interessiert, was in dem Haus
nebenan vor sich geht.«
»Waren Sie gestern Nachmittag im Haus?«
»Ja, natürlich. Wieso … ach so … ein Alibi im üblichen Sinne habe
ich nicht. Mein Sohn war auch den ganzen Tag da.«
»Könnte Ihr Sohn vielleicht eine Beobachtung gemacht haben?«
»Ihre Fragestellung … Ich glaube nicht, dass er Ihnen helfen könnte.
Mein Sohn sieht die Welt anders als wir. Er hat eine Behinderung. Wenn ich
dieses gestellte Foto hier auf Ihrem Steckbrief, so darf ich es doch nennen,
sehe, ein älterer Mann im Mantel … wissen Sie, wie viele Menschen hier täglich
die Promenade entlanglaufen?«
»Nein.«
»Ich auch nicht, und mein Sohn hat sie sicher auch nicht gezählt.«
»Was für eine Behinderung hat Ihr Sohn?«
»Ich wüsste nicht, wie das Ihre Ermittlungen weiterbringen soll.«
»Ich möchte es wissen, weil es mich interessiert, Herr
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