Totenreigen
Anzug gekauft hat, der passt«, sagte
Lüthje ungläubig. Der Elbsegler fehlte. Aber die Kieler-Woche-Krawatte war
wieder dabei.
Hoyer drängte sich zwischen die beiden Männer ans Fenster, um besser
sehen zu können. »Maßgeschneidert. Marineblau. Leinen, vermute ich. Bei der
warmen Witterung eine kluge Entscheidung seiner Frau.«
»Was glauben Sie, was passiert ist?«, fragte Vehrs.
»Mit seinem Bauch?«, fragte Lüthje.
»Nein, warum er sich in Schale geschmissen hat«, sagte Hoyer.
Die Dienstlimousine fuhr mit hohem Tempo zum Ausgang und ordnete
sich mit einem gewagten Manöver in den fließenden Verkehr Richtung Förde ein.
»Er fährt vermutlich an einen Ort …«, antwortete Lüthje in
salbungsvollem Tonfall, »… an dem sich uniformierte Männer gehobener
Dienstgrade in eleganten Ausgehuniformen treffen. Und da ein Kriminalrat keine
Uniform hat, ist der Leinenlappen die einzige Möglichkeit, aufzufallen.«
7.
Lüthje wollte Klockemann in seiner ureigensten Umgebung befragen.
Das war nicht sein Bestattungsinstitut, sondern der Friedhof.
Er rief im Bestattungsinstitut an. Er hatte Glück. Die Dame am
Telefon sagte ihm mit gequälter Stimme, dass Herr Klockemann eine Überführung
hätte, so als ob das eine Krankheit wäre.
»Wohin überführt er?«, fragte Lüthje.
»Geht es um einen Trauerfall?«, fragte die Dame.
»Ja. Ich bin Kriminalhauptkommissar Lüthje und muss dringend mit ihm
sprechen.«
»Sie können hier auf ihn warten. Er müsste in … ungefähr dreißig
Minuten wieder hier sein. Oder darf ich Sie mit Herrn Singer verbinden?«
»Ich fragte Sie, wohin Herr Klockemann überführt.«
»Äh, auf den Friedhof Eichhof. Eine Einbettung, glaube ich.«
»Glauben Sie? Keine Trauerfeier?«
»Äh. Ich verstehe Sie nicht.« Die junge Frau bekam ein Zittern in
der Stimme. »Aber ich sehe gerade, er war noch beim Standesamt. Totenscheine
abholen. Ich weiß gar nicht, ob er schon in der Leichenhalle ist. Soll ich ihn
anrufen?«
»In der Leichenhalle anrufen? Nicht nötig. Ich melde mich später
noch einmal.«
Der Friedhof Eichhof lag am Olof-Palme-Damm, zehn Minuten
Autofahrt von der Bezirkskriminalinspektion in der Wilhelminenstraße. Lüthje
fand einen Leichenwagen der Firma Klockemann mit geöffneter Heckklappe vor der
Leichenhalle, parkte ein paar Meter dahinter und ging zum Eingang. Er sah zwei
Männer im Dunkel des Flures hantieren.
»Suchen Sie jemanden?«, rief einer der Männer. Sie trugen beide die
übliche Berufskleidung der Bestatter: schwarze Anzüge, weißes Hemd, schwarzer
Schlips und weiße Einmalhandschuhe.
»Ich nehme an, Sie sind Herr Klockemann. Ich bin Kriminalhauptkommissar
Lüthje«, rief Lüthje zurück. »Hat Ihre Empfangsdame mich nicht bei Ihnen
angekündigt?«
»Warten Sie bitte draußen, wir sind hier noch nicht fertig«, sagte
Klockemann und schob mit seinem Gehilfen einen Sarg in die Leichenkammer.
Lüthje ging ihnen hinterher. Eiskalte Luft schnitt ihm in die
Gesichtshaut. Unter der Decke rauschte ein Ventilator der Klima anlage. Ein
großes Thermometer an der Wand zeigte zwei Grad plus. In der Luft hing der
unverkennbare säuerliche Leichengeruch. Der Raum war ungefähr acht mal acht
Meter groß. An den Wänden standen Särge und Leichensäcke auf fahrbaren
Scherenwagen.
»Ich hab schon ganz andere Dinge gesehen, Herr Klocke mann«, sagte
Lüthje und beobachtete die beiden bei ihrer Arbeit.
Sie öffneten einen Leichensack, der auf einer Bahre mit Rollenfüßen
lag, und hoben die Leiche in einem Tuch in den Sarg, der danebenstand.
Klockemann warf seine Einmalhandschuhe schnell in den Sarg, so als ob er sie
vor Lüthje verbergen wollte, sein Gehilfe ließ sich damit mehr Zeit. Sie legten
den Sargdeckel auf. Klockemann befestigte ihn mit einem Tacker, der mit lautem
Knallen Nägel in das Holz schoss.
Ein Nagel saß zu hoch. Klockemann setzte neu an und verriss das
Gerät. Wieder zu hoch. Lüthje hielt sich die Ohren zu, da die kahlen Wände des
Raumes die Schüsse schmerzhaft verstärkten. Erst beim dritten Schuss saß der
Nagel richtig. Die Männer gingen zurück in den Flur, entnahmen aus einem
Spender neben einem Waschbecken Desinfektionsflüssigkeit und wuschen sich die
Hände.
»Sie müssen die Tür zum Kühlraum schließen!«, sagte Lüthje. »Wir
haben draußen fast fünfundzwanzig Grad, oder wollen Sie die Insassen hier durch
Sonnenbaden zum Leben erwecken?«
Klockemann gab seinem Gehilfen ein Zeichen. »Ich dachte, Sie machen
hinter uns
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