Totenreigen
zu.«
»Ohne Handschuhe?«, fragte Lüthje.
Der Gehilfe schlenderte betont lässig zur ungefähr zwanzig
Zentimeter dicken Kühlhaustür, schlug sie mit beiden Händen heftig zu und ging
zum Ausgang.
»Er hätte sich wieder die Hände waschen müssen«, sagte Lüthje.
Klockemann zuckte mit den Schultern, ließ zum zweiten Mal
Desinfektionsflüssigkeit über Hände und Unterarme fließen.
»Wollen Sie sich nicht auch waschen?«, fragte Klockemann.
»Warum?«, fragte Lüthje.
»Wissen Sie noch so genau, was Sie hier angefasst haben?«
Eins zu null für Klockemann. Lüthje ging zum Waschbecken und
absolvierte die Prozedur dreimal.
»Dürfen Sie die Handschuhe im Sarg entsorgen?«, fragte Lüthje, als
sie sich die Hände mit einem Haufen Papiertücher abtrockneten.
»Was meinen Sie, was in den Särgen alles drin ist? Das ist nicht von
Pappe.« Klockemann lachte über seinen Scherz. »Die Särge aus Polen … na ja,
Recycling ist da kein Thema. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Das
wird eine Feuerbestattung. Der Sarg wird in der Brennkammer mit
tausendzweihundert Grad verglühen. Das verschwindet in den Filtern des
Krematoriums, und die werden regelmäßig als Sondermüll entsorgt. Bleibt nur die
Asche.«
»Und wenn da noch eine Metallhüfte dabei ist?«
»Die wird vor dem abschließenden Mahlgang vom Urnenabfüllgerät
ausgesondert.«
»Und die Sargnägel?«
»Die werden vor dem Mahlgang an einem Magneten aus der Asche
gezogen. Erst dann kommt die Asche in die Urne.«
»Und die goldenen Zähne?«
»Werden vorher rausgenommen. Der Verstorbene, den wir eben
umgebettet haben, hatte keine. Sonst hätten Sie es miterleben können. Wir
übergeben das Zahngold üblicherweise den Hinterbliebenen, zusammen mit den
Sterbeurkunden.«
»Gab es eine Trauerfeier, oder kommt noch eine Urnenfeier oder so was?«
»Es wird eine Feuerbestattung ohne alles. Also auch ohne
Trauerfeier. Aber inklusive Sterbehemd. Anonyme Bestattung.«
»Todesursache?«, fragte Lüthje.
Klockemann lächelte übertrieben. »Herzversagen steht im Totenschein.
Wollen Sie eine Obduktion? Er sieht ziemlich ausgetrocknet aus. Jedenfalls als
wir ihn abholten. Aber bei dem kleinen Zimmer im Pflegeheim kein Wunder. Die
Sonne stand genau drauf, als wir ihn abholten. Für Juni zu warm, wenn Sie mich
fragen.«
»Wie oft haben Sie solche Aufträge?«
»Kommen Sie!«
Klockemann ging mit großen Schritten zur Kühlraumtür und öffnete sie
wieder. Er winkte Lüthje heran, der abwartend neben dem Waschbecken stehen
geblieben war. Er drückte den Lichtschalter, und die Neonlampen gingen
flackernd an, wie in einem schlechten Gruselfilm.
»Der zweite Sarg von links.« Klockemann zeigte auf einen Sarg mit
barocker Formgebung. Üppig und verspielt. »Da liegt ein Ratsherr drin.
Herzinfarkt nach einer Abstimmung. Eiche Natur, geeignet bis zweihundertfünfzig
Kilo. Ergreifendes Design. Das wird eine Trauerfeier in der Kirche, mit
Kondolenzbuch, aufwendigem Blumenschmuck, sechs Trägern, einschließlich
Handschuhen, Transport zum Friedhof, einstelliger Gruft, Traueranzeigen, das
ganze Programm eben. Da rechts ganz hinten, eine Orthopädin, Lungenkrebs,
Kettenraucherin, wenn Sie mich fragen, ungefähr das gleiche Programm.
Allerdings ohne Kirche.« Er wandte sich Lüthje zu, der neben ihm stand. »Nur
damit Sie nicht denken, ich nage am Hungertuch. Wegen ›solcher Aufträge‹, wie
Sie eben sagten.«
»Und das ist sicher nicht leicht für Sie, kann ich verstehen. Hat
Ihnen schon mal jemand aus der Branche ein Angebot gemacht, das Sie nicht so
einfach ablehnen können?«, fragte Lüthje mit unbewegtem Gesicht.
»Natürlich bekomme ich Angebote, die mich zum Angestellten meines
Unternehmens machen wollen, um mich dann baldmöglichst rauszuschmeißen. So was
beeindruckt mich schon lange nicht mehr. Der Tod hat immer Konjunktur. Davon
leben Sie auch. Aber im Gegensatz zu Ihnen habe ich mehr Konkurrenz. Zum
Beispiel Herrn Preller, den Sie ja gerufen haben, obwohl er nach der
Bereitschaftsliste nicht dran war. Sondern ich.«
»Wollten Sie Ihren Jugendfreund gern einsargen?«
»Es geht ums Prinzip«, sagte Klockemann trotzig.
»Nein, es ging um Ihre Mutter«, sagte Lüthje geduldig. »Sie ist
Nachbarin und deshalb Zeugin. Aber ich brauche jetzt wieder frische Luft und
Sonne. Dann können wir uns weiterunterhalten.«
Lüthje wunderte sich, dass er nicht wie sonst Knäckebrotkrümel im
Mund brauchte, um das Würgegefühl in der Nähe des Todes zu
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