Totenreigen
Zimmer im Haus sind.«
Die neuesten Erkenntnisse über das Kleid wollte er ihr noch nicht
präsentieren. Sie schien jede seiner Fragen mindestens einen Tag mit sich
herumzutragen, bevor sie mit der Wahrheit herausrückte. Wenn es denn die
Wahrheit war.
Er verabschiedete sich von ihr. Als er sich noch einmal umdrehte,
hatte eine Familie mit einem kleinen Kind die Bank besetzt, und Ursula
Drübbisch war in der Menge verschwunden.
8.
Von ihr war also zunächst nichts zu erwarten, was die
offenen Fragen beantworten konnte. Aber jedes weitere Zögern konnte sich als
schwerer Fehler mit unabsehbaren Folgen erweisen.
Nach einer Stunde hatten sie den Haftbefehl. Lüthje hatte vorher mit
dem Staatsanwalt telefoniert. Der schien auf seinen Anruf gewartet zu haben,
stellte wenig Fragen und schien im Übrigen schon seine Instruktionen zu haben,
welcher Richter Bereitschaftsdienst hatte.
Lüthje rief in Klockemanns Büro an und sagte der Telefondame, dass
er noch ein paar Fragen an den Chef hätte. Der sei dienstlich unterwegs, teilte
ihm die Dame mit und gab ihm bereitwillig die Handynummer.
Lüthje rief ihn an. Klockemann erklärte, dass er gerade im
»Shanghai« am Dreiecksplatz etwas esse. Lüthje könne ja dorthin kommen. Kein
Wort von seiner Frau. Entweder war sie noch nicht nach Hause entlassen worden,
oder sie hatte ihrem Mann die Geschichte verschwiegen. Lüthje kündigte an, er
würde in etwa zwanzig Minuten da sein. Er hätte noch ein paar Fragen und Hunger
auf eine Suppe.
Er fuhr mit Hoyer und Vehrs und sechs Kollegen von der
Schutzpolizei. Zwei sicherten den Hinterausgang. Hoyer ging ins Restaurant.
Klockemann kannte sie nicht, weil er ihr nicht in der Bezirkskriminalinspektion
begegnet war, als er seine schriftlichen Aufzeichnungen bei Vehrs abgab.
Am Tresen fragte Hoyer nach einem älteren Ehepaar. Es seien ihre
Eltern. Sie sei mit ihnen hier verabredet, aber sie habe sich verspätet, und
sie müssten schon längst da sein. Ihr Vater hätte eine Hand in Gips. Eine
freundliche Chinesin bedauerte sehr, dass Hoyer ihre Eltern suche, aber sie
habe sie nicht gesehen. In gut gespielter Aufregung verließ Hoyer eilig das
Restaurant.
»Er sitzt gleich rechts an der Wand«, sagte Hoyer, als sie sich
wieder auf den Beifahrersitz neben Lüthje setzte. »Es sieht so aus, als hätte
er eine kleine Reistafel, die Schälchen sind alle noch voll. Er hat also gerade
erst angefangen zu essen.«
»Eine kleine, ganz private Feier?«, fragte Lüthje.
»Ich habe Hunger«, sagte Vehrs. »Können wir uns nicht vorher ein
paar Frühlingsrollen einpacken lassen?«
Lüthje konnte nicht erkennen, ob Vehrs die Frage ernst meinte,
entschloss sich aber, sie zu ignorieren.
Er schaltete den Sonderkanal des Funkgerätes ein, damit die
beteiligten Wagen mithören konnten, ohne dass der normale Betrieb gestört
wurde. Außerdem konnte man über den Sonderkanal offener reden.
»Zugriff im Gastraum. Der Mann sitzt gleich rechts an der Wand, kann
uns also sofort sehen, hat aber keinen freien Fluchtweg. Zuerst gehen die
Kollegen Scheuner und Kahlinger rein, damit die Chinesen die Uniform sehen und
hoffentlich sofort begreifen, dass wir keine Mafia oder sonstige Gangster sind.
Wie ich schon in der Besprechung sagte, es ist schwer zu sagen, wie unser Mann
reagiert. Er könnte aggressiv werden.«
Klockemann ließ sich widerstandslos festnehmen. Als Lüthje ihm den
Haftgrund aufgesagt hatte und die Handschellen zuschnappten, schüttelte er
immer wieder den Kopf und wiederholte: »Sie irren sich, meine Mutter kann das
bezeugen.«
In der Bezirkskriminalinspektion wollte Klockemann telefonieren.
Die von ihm gewählte Reihenfolge war: seine Mutter, sein Anwalt, seine Frau.
Lüthje genehmigte ihm nur den Anruf bei seinem Anwalt und bot ihm an, seine
Frau durch Vehrs oder Hoyer anrufen zu lassen, was er jedoch ablehnte.
Klockemanns Anwalt meldete sich zunächst nicht, rief aber nach ein
paar Minuten zurück.
Als Lüthje Klockemann vernehmen wollte, antwortete der auf Fragen
nur noch mit dem Satz: »Ich sage nichts, fragen Sie meinen Anwalt.«
Lüthje ließ ihn dem diensthabenden Richter vorführen, der ihm den
Untersuchungshaftbefehl formell verkündete.
Kurz danach rief Mutter Klockemann bei Lüthje an.
Sie kam ohne Einleitung zur Sache. »Sie haben nichts anderes im Kopf
als Ihre Karriere! Ist ja auch kein Wunder, wenn man in einer Kellerwohnung
haust und in Teufelsbüchern liest! Sie werden von unserem Anwalt hören!« Und
legte
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