Totenreigen
Da sind doch noch mehr
Kollegen, die spenden.«
»Macht nichts«, sagte Lüthje verlegen.
»Hier können Sie unterschreiben«, sagte Vehrs und legte ihm die
Karte vor. »Wir haben die Karte extra aus dem Umlauf angehalten.«
Die »Karte« war so groß wie eine DIN-A 4-Seite.
Ungefähr zehn Unterschriften sah Lüthje.
»Die eigentliche Karte mit dem Genesungswunsch heften wir mit einem
Klammerhefter dran. Und natürlich bekommt er einen tollen Blumenstrauß dazu«,
sagte Hoyer.
»Ach so«, sagte Lüthje und schrieb einfach seinen Namen mit einem
aufmunternden »Wir warten auf Sie« unter die anderen Genesungswünsche.
Eigentlich eine schriftliche Lüge, dachte Lüthje. Wie es aussah,
hatte er zu Schackhavens Zusammenbruch einen nicht unwesentlichen Beitrag
geleistet.
7.
Als er im Wagen saß, ließ er den Motor an und stellte die
Klimaanlage höher. Danach suchte er Ursula Drübbischs Handynummer in seinem
Handyspeicher und rief sie an.
»Hier Lüthje, hallo, Frau Drübbisch! Ich habe noch ein paar Fragen
an Sie.«
»Haben Sie den Täter gefasst?«
»Nein, leider nicht, aber wir machen Fortschritte. Wo kann ich Sie
treffen?«, fragte Lüthje. Sie schien draußen zu sein, er hörte Menschen reden
und lachen.
»Ich bin zum Hindenburgufer gegangen und stehe jetzt vor der
Bellevuebrücke.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich nehme mir ein Taxi.«
Einen Parkplatz würde er dort während der Kieler Woche nicht finden.
Er stellte den Motor wieder ab, ging zur Holtenauer Straße und winkte sich ein
Taxi heran.
Er fand Ursula Drübbisch auf einer Bank am Wasser zwischen dem
Jachthafen, in dem ihr Sohn seinen Kieler Bootsliegeplatz hatte, und der
Reventloubrücke. Das Ehrenmal sah von hier aus wie ein kleines Modell aus den
Andenkenlädchen. Ein Blick aus sicherer Entfernung.
Er setzte sich neben sie.
»Sind Sie geflogen?«, fragte sie.
»Mit dem Taxi. So brauchte ich keinen Parkplatz zu suchen«, sagte
Lüthje lächelnd. »Es sind ein paar Fragen aufgetaucht, die ich Ihnen stellen
muss.«
»Nur zu«, sagte sie und stand auf. »Lassen Sie uns in Richtung
Kiellinie gehen. Meine Therapeutin hat mir gesagt, dass Sonne und gut gelaunte
Menschen mir guttun würden.«
Sie trug eine weite Leinenhose und ein ebenso weites Oberteil mit
Jäckchen, alles naturfarben. Der leichte Wind vom Wasser fächelte den Stoff
sanft um ihre Figur.
»Wir haben die Unterlagen lesbar machen können, die wir bei Ihrem
Sohn gefunden haben. Es sind Unterlagen über den Mord an Ihrem ersten Mann,
Hermann Drübbisch. Anwaltskorrespondenz und Zeitungsausschnitte. Die
anwaltlichen Schreiben waren an Sie adressiert und fingen alle mit ›Sehr
geehrte Frau Drübbisch‹ an. Ich bin davon ausgegangen, dass das Haus geräumt
war. War um lagen ausgerechnet Ihre persönlichen Unterlagen noch in der
Abstellkammer, die man vom Flur erreichen konnte? Sie sagten mir gestern, dass
Ihr Sohn Ihnen nichts davon gesagt hätte, dass er etwas im Haus suchen wollte.
Können Sie mir das erklären?«
»Mein Sohn und ich haben schon seit dem Auszug aus dem Haus vor
einem halben Jahr nicht mehr miteinander geredet. Und … dann rief er vorige
Woche, am Mittwoch, glaube ich, an und fragte, wo die Unterlagen über Papa
sind. Das waren seine Worte. Die Frage fand ich unverschämt. Wo sollten die
wohl sein! Er unterstellte mir doch, dass ich sie weggeworfen oder verloren
hatte! Aber … entschuldigen Sie. Jetzt bekommen Sie einen wunderbaren Eindruck
von mir als Mutter.«
»Kümmern Sie sich nicht um mich, reden Sie einfach weiter.« Lüthje
sah sie so freundlich an, wie er konnte.
»Ich will es kurz machen. Ich habe ihm gesagt, dass ich die
Unterlagen am Freitag ins Haus nach Laboe bringe. In die Abstellkammer im Flur.
Und dass er sie sich dann abholen könnte, wann er wollte.«
»Warum ausgerechnet in der Abstellkammer? Dort ist Ihr Mann Hermann
Drübbisch ermordet worden. Die Unterlagen, die Sie dort für Ihren Sohn
deponierten, behandelten den Mord. Wollten Sie damit etwas sagen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich wollte vor allen Dingen nicht weiter ins
Haus gehen. Die Abstellkammer ist gleich am Flur. Außerdem war ich wütend auf
Horst. Er hat sich nie für den Tathergang interessiert. Er war oberflächlich.
Ja, so kam er mir immer vor.«
»Haben Sie sich nicht gefragt, warum er plötzlich die Unterlagen
haben wollte?«
»Natürlich. Ich hatte die leise Hoffnung, dass er jetzt langsam
vernünftig wird.« Sie weinte. »Und dann kam jemand und hat verhindert,
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