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Totenreigen

Totenreigen

Titel: Totenreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Lykk
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dass er
sich die Unterlagen ansah. War das ein Zufall?«
    »Warum haben Sie mir das nicht schon gestern erzählt?«
    »Ich lerne erst langsam wieder sprechen«, sagte sie mit schwacher
Stimme.
    Sie waren inzwischen an der Kiellinie, einer Promenade an der Förde,
angekommen. Es war brechend voll. Sie bahnten sich den Weg durch die
Menschenmenge, die gebannt zu einer Bühne starrte.
    Ein Moderator hielt einer Sängerin ein Mikrofon entgegen, die mit
piepsiger Stimme sagte, dass es zu den schönsten Erlebnissen ihres Lebens
gehöre, auf dieser Bühne bei der Kieler Woche mit dabei sein zu dürfen.
Frenetischer Beifall und Gejohle brandeten auf.
    »Darf ich mich bei Ihnen unterhaken? Ich fühl mich bei dem Gewühle
so unsicher«, sagte Ursula Drübbisch.
    »Natürlich«, sagte Lüthje und ließ es geschehen. Was würde Hilly
sagen, wenn sie ihnen entgegenkommen würde?
    Allmählich wurde es wieder ruhiger, und das Gedränge löste sich auf.
    »Wir wissen, wer der Unbekannte ist, der nach dem Mord im Haus war«,
sagte Lüthje.
    »Was?«, fragte sie, und ihr Mund blieb offen stehen. »Wer ist es?«
    »Kennen Sie den Namen Rainer Stolze?« Lüthje spürte, dass sie
zusammenzuckte, als er den Namen aussprach.
    Sie blieb stehen und löste sich von seinem Arm. »Oh Gott, ist das
lange her.« Sie ging weiter, hakte sich aber nicht wieder bei Lüthje ein.
    »Was ist lange her?«
    »Rainer … Rainer Stolze. Er war einer meiner Kollegen an der
Volksschule Laboe. Ende der sechziger Jahre bis in die Siebziger. Als ich
heiratete, hörte ich auf. Horst wurde geboren. Rainer war ein Freund. Auch für
Hermann.«
    Sie blieb plötzlich stehen. »Ich möchte zurückgehen. Ich glaube, die
vielen Menschen um mich herum tun mir doch nicht so gut.«
    Sie drehten auf der Stelle um. Dadurch ging sie nicht wie vorher
links neben Lüthje, sondern rechts.
    »Oh, das finde ich komisch, ich gehe lieber wieder auf Ihrer linken
Seite«, sagte sie, lief um ihn herum und hakte sich wie selbstverständlich
wieder bei Lüthje ein.
    »Warum war er im Haus?«, fragte sie.
    »Ich dachte eigentlich, dass Sie mir das
erklären können«, sagte Lüthje.
    »Nein.«
    »Trank Rainer Stolze damals zu viel?«
    »Ja, eine Zeit lang. Woher wissen Sie davon?«
    »Sie hatten damals bei der Kripo ausgesagt, dass er gern feiert.
Wahrscheinlich sind Sie danach gefragt worden.«
    »Mein Gott, was Sie alles wissen. Ja, Partys waren damals in und
hip. Da hat er richtig zugelangt.«
    »Hat er auch Drogen genommen?«
    »Das hätte Hermann in unserem Haus nicht geduldet. Vielleicht lag es
auch nur daran, dass Hermann so viel älter war als wir.«
    »Hat Rainer Stolze außerhalb Ihres Hauses Drogen genommen?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Hat er eine Freundin gehabt?«
    »Das wechselte ständig bei ihm. Ich habe da nie den Überblick
gehabt.«
    »Gab es zwischen Ihnen und Rainer Stolze jemals eine Beziehung, die
über die kollegiale Freundschaft hinausging?«
    »Niemals. Haben Sie das auch in der Akte von damals gelesen?«
    »Nein. Aber ich mache mir eben so meine Gedanken«, sagte Lüthje.
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte sie ernst und blickte hinüber
zur gegenüberliegenden Fördeseite.
    »Ihr Sohn war damals ein Kind. Stolze war ein langjähriger
Bekannter, der keine Kinder hatte. War er vielleicht eine Art Onkel für Ihren
Sohn? Haben die beiden sich angefreundet?«, fragte Lüthje.
    »Das hätte ich bemerkt«, sagte sie barsch.
    »Da ist eine freie Bank«, sagte Lüthje. »Schnell.« Sie liefen, sie
stolperte ein wenig, er hielt sie am Arm fest, und als sie sich setzten, lachte
sie. Lüthje zog die Laboer Chronik aus dem Rucksack und schlug die Seiten über
die Volksschule Laboe auf.
    »Das Lehrerkollegium, erkennen Sie sich?«
    Sie sah kurz auf das Foto. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Machen Sie bitte das Buch wieder zu«, sagte sie.
    »Kennen Sie dieses Buch?«
    »Ich habe einmal im Buchladen darin geblättert, aber das Foto nicht
gesehen.«
    »Es ist eine Neuauflage«, sagte Lüthje und steckte es wieder in den
Rucksack. »Ich habe noch eine Frage zur Vergangenheit. Wer hat in den
Mansardenzimmern damals gewohnt?«
    »Die ersten Jahre war es mein Reich. Meine Zuflucht. Als Horst
größer wurde, habe ich ihm das Zimmer nach vorn, also zur Strandstraße, abgetreten.
Später bekam er auch das andere Zimmer. Wieso wollen Sie das wissen?«
    »Ich war neulich im Haus und habe mich umgesehen. Und da
interessierte es mich einfach, weil es die schönsten

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