Totenreigen
musste erst vor die Tür gehen. Ich bin mit Susan
in einem deutschen Restaurant, hier gibt es gebratene Heringsfilets, stell dir
das vor!«
»Ach was!«
»Aber sie schwimmen in Butter. Also haben wir uns eine Tasse und
vier Servietten bringen lassen, die Butter vom Teller in die Tasse laufen
lassen und das restliche Fett mit den Servietten von den Filets abgetupft. Wie
findest du das?«
»Ihr seid genial! Hat sich das Personal dazu geäußert?«
»Sie sind superhöflich! Die glauben, wir sind vom Observer und
machen das als Show für eine originelle restaurant review .
Sie haben uns die Fettbrühe vom Tisch geräumt, und jetzt haben wir stattdessen
eine fettfreie Dover Seezunge bekommen. Denk dran, wenn dir so was in Laboe
passiert. Wir waren doch vor ein paar Wochen mal im Fischrestaurant am Hafen,
da haben die Leute am Nebentisch was Ähnliches gemacht.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Eric, ich habe für übermorgen früh, also Freitag, einen Flug
gebucht. Kannst du mich abholen?«
»Wir haben einen Mann verhaftet. Aber der Haftbefehl steht auf
tönernen Füßen.«
»Schön hast du das gesagt. Und weiter?«
»Der Fall ist noch nicht gelöst. Wenn ich jetzt nicht dranbleibe,
ist der Mann mit Hilfe seines Anwaltes bald wieder draußen.«
»Das heißt, du kannst mich nicht abholen. Ich werde mir am Flughafen
einen Mietwagen nehmen und nach Kiel fahren. Da gebe ich ihn ab und nehme die
Fähre nach Laboe. Ich sag Frau Jasch Bescheid, dass sie sich dann nur noch um
die Gäste kümmern muss.«
»Lass uns morgen noch mal darüber sprechen«, sagte Lüthje.
»Morgen Abend?«, fragte Hilly.
»Okay, ich liebe dich«, sagte Lüthje.
»Ich liebe dich«, antwortete Hilly.
»Nicht auflegen, Hilly! Was ist mit dem Orkan? Malbek erzählte mir
doch davon. Ich kann ihn aber nicht erreichen.«
»Er ist mit Sophie nach Schottland gefahren. Da ist es mit dem
Empfang manchmal schwierig. Ich weiß nur, dass der Sturm auf die Nordsee
gezogen ist. Jetzt scheint die Sonne, aber es ist eiskalt. Hörst du denn keine
Nachrichten? Wir haben doch im Souterrainzimmer einen kleinen Fernseher!«
»Ich war mit den Gedanken woanders.«
»Ich hoffe, bei mir!«
»Natürlich! Tschüss!«
»Ich liebe dich!«
In seinem Souterrainzimmer fand Lüthje eine Nachricht auf dem
Kühlschrank.
»Sie hatten mir versprochen, das Foto von mir am Kühlschrank nur
Ihrer Frau zu zeigen. Heute war ich in der neuen Buchhandlung. Die Verkäuferin
hat mich nach einem Foto wiedererkannt, das Sie ihr auf dem Handy gezeigt
haben. Dafür werde ich Sie noch ins Kreuzverhör nehmen. Ich habe für meinen
kleinen Enkel ein Kinderbuch zum Geburtstag gekauft. ›Lüthje und das Geheimnis
des Strandes‹. Lüthje ist eine Ente.«
Lüthje holte sich ein Bierglas aus der Küche und goss den dunk len
Probsteier Herold vorsichtig in das schräg gehaltene Glas, damit sich die
Schaumkrone nicht zu schnell entwickelte. Er setzte sich auf einen Stuhl am
Fenster und legte die Beine auf den Tisch. Er nahm einen tiefen Schluck und sah
auf die Grasspitzen vor dem Fenster. Sein Blick wanderte höher. Zur Hecke an
der Grenze zum Nachbargrundstück. Er beugte sich etwas vor und sah ein Stück
der Förde voller weißer Segel in allen Größen. Über allem wölbte sich der
Abendhimmel.
Hilly hatte einmal gesagt, dass der Laboer Sonnenuntergang ein auf
der Welt einmaliges Licht hätte. Eine sanfte Milchigkeit, auch wenn er
wolkenlos rot war. Und er hatte geantwortet, dass es wohl am Fördewasser liege,
auf dem das Licht zum Himmel reflektiert wird, wo es sich beim Blick zur
untergehenden Sonne zur sanften Milchigkeit mische. Und Hilly hatte
hinzugefügt, dass auch das schleswig-holsteinische Land, das sich hinter dem
gegenüberliegenden Fördeufer erstrecken würde, mit seinen Feldern und Wiesen in
der sanften Milchigkeit des Laboer Sonnenuntergangs zu finden sei.
Lüthje sah, dass die Wolkenstreifen näher gekommen waren und die
sanfte Milchigkeit sich langsam in eine giftig gelbe Diesigkeit verwandelte.
Donnerstag
1.
Am Morgen hatte sich der Himmel zugezogen. Trotzdem zeigte
das Thermometer am Fenster um halb acht schon vierundzwanzig Grad an. Deshalb
hatte er also so schlecht geschlafen. Er öffnete das Fenster einen Spalt weit.
Nach dem Frühstück fuhr Lüthje sein Notebook hoch und sah sich die
Unwetterwarnseite des deutschen Wetterdienstes an. Für Schleswig-Holstein hieß
es dort:
»Mit einer kräftigen südwestlichen Strömung wird weiterhin
subtropische Luft
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