Totenreigen
herangeführt. Im Laufe des morgigen Tages wird
Norddeutschland von den ersten Ausläufern eines Orkantiefs mit Kern über der
nördlichen Nordsee erfasst. Danach stellt sich die Wetterlage großräumig um.
Nach Durchzug des Orkantiefs dringt auf seiner Rückseite kalte und feuchte
Meeresluft in den Vorhersagebereich ein. Unwetterartige Entwicklungen sind
möglich. Die genaue Zugrichtung des Windfeldes wird kurzfristig aktualisiert.
Eine Vorwarnung ist aktiv. Mit einer Erhöhung der Warnstufe ist zu rechnen.«
Regen und Sturm würde es also nur morgen geben. Die Generalprobe
sollte heute Vormittag stattfinden. Die Aufführung war erst übermorgen, am
Samstagabend.
Er hatte sich Papierkram aus dem Büro mitgenommen, setzte sich an
den Tisch und schlug die Mappe auf. Er hielt inne und holte die Fotokopie des
Fotos aus der Laboer Chronik aus dem Rucksack. Vom Regal nahm er eine alte
Kopflupe seines Vaters und setzte sie auf. Er hielt die Fotokopie ins Licht und
betrachtete die oberste Reihe. Ursula Schedelgarn und Rainer Stolze. Er
versuchte herauszufinden, ob Stolzes Nickelbrille Sonnenlicht reflektierte oder
ob es ein Fehler des Kopierers war. Hätte er bloß das Buch noch nicht in der
Bücherei abgegeben! Lüthje hatte gehofft, dass er mit der Lupe erkennen könnte,
wohin Rainer Stolze blickte. Aus der Kopfhaltung konnte man das nicht unbedingt
schließen, was wahrscheinlich Rainer Stolzes Absicht gewesen war.
Er legte die Lupe zurück in das Regal und wandte sich wieder der
Arbeitsmappe zu.
Sein Handy summte. Es war Vehrs.
»Die Klockemann macht Telefonterror!«, sagte er.
»Wie gut, dass ich ihr bei meinem ersten Date mit ihr meine Karte
nicht gegeben habe«, sagte Lüthje. »Ich hatte schon so ein komisches Gefühl.
Sagen Sie überall Bescheid, dass ihr keiner im Haus, keiner ,
auch nicht die Leitstelle, meine Handynummer gibt. Auch keine Festnetznummer!«
»Wird gemacht. Wir wollten Sie fragen, ob Sie damit einverstanden
sind, dass wir ihre Anrufe bei uns sperren lassen.«
»Natürlich. Ist doch Notwehr. Oder sagt sie am Telefon etwas, was
für uns interessant sein könnte?«
»Nein, sie wiederholt sich leider immer wieder. Das Gleiche wie
gestern. Eigentlich schade.«
»Irgendetwas Neues von der Spurensicherung?«
»Nein. Ich hab Prebling angerufen, aber er hat gemault.«
»Was?«
»›Das ist schlimmer als ein Tatort‹, sagte er. Ich glaube, dem
fehlte das Blut.«
»Da könnten Sie recht haben. Hat sich der Anwalt gemeldet?«
»Heute Morgen kam ein Fax von ihm. Mit dem üblichen Gelaber, dass
sein Mandant unschuldig sei und er ein Alibi nachgewiesen hat. Er will
Klockemann heute besuchen und fordert Akteneinsicht. Ach ja, er vertritt auch
Frau Verena Klockemann.«
»Schön. Ist Hoyer da?«, fragte Lüthje.
»Ja«, sagte Vehrs.
»Stellen Sie bitte auf Mithören. Ich möchte Ihnen beiden eine Frage
stellen.«
»Ich bin ganz Ohr«, hörte er Hoyer sagen.
»Hören Sie gut zu und antworten Sie spontan. Rein assoziativ. Nicht
lange nachdenken. Jetzt die Frage: Was würde ein Bestattungsmeister aus
Leidenschaft mit einem von ihm benutzten Mordwerkzeug machen?«
Vehrs lachte auf. »Beerdigen. Bestatten!«
»Staub zu Staub«, rief Hoyer. »Asche zu Asche.«
»Vergraben, ganz tief!«, rief Vehrs. »Bei einer Seebestattung über
Bord werfen!«
Lüthjes Handy signalisierte ihm, dass ein Anrufer »anklopfte«. Die
angezeigte Nummer sagte ihm nichts.
»Ich bekomme gerade einen Anruf. Ich melde mich später. Vielen Dank
für die Ideen!«
Lüthje nahm den Anruf durch einen Tastendruck an.
»Lambert Sundermeier. Herr Kommissar Lüthje?«
»Hallo, ja, hier Kommissar Lüthje. Ich dachte, Sie sind schon im
Ehrenmal. Die Generalprobe müsste doch schon angefangen haben.« Lüthje hörte
ihn schwer atmen, als ob er gelaufen wäre.
»Ich musste mir Cornflakes holen. Mein Vater vergisst das in letzter
Zeit oft. Dabei habe ich Frau Klockemann getroffen, sie hat mich angelogen.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, dass sie Iris mit einem anderen Mann im Strandkorb
gesehen hat. Der Mann hat sie geküsst. Das war der Kommissar Lüthje, sagte sie.
Der Strandkorb hatte die Nummer sieben. Den Strandkorb gibt es wirklich. Ich
habe nachgesehen.«
»Sie lügt aber trotzdem«, sagte Lüthje. »Was haben Sie ihr geantwortet?«
»Sie hat noch mehr erzählt. Sie hat gesagt, dass mein Vater bald
stirbt und ich in ein Heim komme, in Schleswig oder Kiel. Ich darf dann nicht
mehr in unser Haus.«
»Sie wissen
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