Totenreigen
ein schmales Band weggeschwemmt
worden. Der Anblick erinnerte Lüthje irgendwie an Schackhavens Karriereknick.
Auf dem Parkplatz hatte der Tornado Autos ineinander- und
aufeinandergeschoben. Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Laboe sichteten das
Ausmaß der Zerstörung und telefonierten dabei mit den Handys.
Die Polizei Laboe versuchte sicher gerade, sich im Oberdorf einen
Überblick über die Lage zu verschaffen. In der nächsten Stunde würde es hier
von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk aus dem ganzen Kreisgebiet wimmeln.
Auf dem Vorplatz des Ehrenmals sah es aus, als ob eine Riesenfaust
sich in blinder Wut ausgetobt hätte. Reste der Bühne, der Technik und der
Zuschauertribüne waren noch erkennbar, einiges war auf dem Dach der Ehrenhalle
gelandet, der Rest oder das, was davon übrig war, war vom Tornado in den großen
Maschenzaun an der Grundstücksgrenze gepresst worden und hatte ihn umgeworfen.
Und einige Fenster des Ehrenmals waren tatsächlich eingedrückt worden.
Auch Lambert würde sich seinen Weg ins Ehrenmal heute freiräumen
müssen. Eine dramatische Arie wäre heute sicher angebracht.
Eigentlich hätte Lüthje sich mit der Aufklärung des Falles mehr Zeit
lassen können. Denn die Oper Turandot würde wohl in dieser Saison keine Aufführung
in Laboe erleben.
Auf dem Rückweg sah Lüthje sich die drei alten Häuser an der
Strandstraße genauer an, die ihn in den vergangenen Tagen so beschäftigt
hatten. Sie versteckten sich in ihren Vorgärten hinter einer alten Flutmauer
mit Türöffnungen, wie sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts alle Häuser hier
hatten. Und sie standen dichter beieinander, als es ihm vorher aufgefallen war.
Vielleicht fehlte ihnen deshalb kein Dachziegel, und keine Fensterscheibe war
zerbrochen.
Freitag
Auf der Fahrt vom Hamburger Flughafen nach Laboe erzählte
Lüthje Hilly die Geschichte von den Frauen und Männern, die ihr ganzes Leben
lang nach Liebe suchten und gescheitert waren.
Vom Autisten, der ein großer Sänger und guter Zeuge war, und wie er
in einem Turm jeden Tag gegen die Mauern sang, als ob er sie damit durchbrechen
könnte. Wie er dort eine böse Hexe besiegt hatte. Und von der Liebe, die er
gewann.
Lüthje erzählte Hilly aber nicht von dem Kampf mit den Dämonen
seiner Kindheit im Treppenhaus des Ehrenmals. Nicht, wenn er auf der Autobahn
am Steuer saß. Später vielleicht einmal.
»Offen ist ja auch, ob die Affäre des Horst Drübbisch mit
Klockemanns Frau von irgendjemandem eingefädelt wurde«, sagte Hilly. »Von wem
auch immer. Aber das ist nur eine moralische Frage. Nicht wahr, Eric?«
Sie schmiegte sich sacht an ihn, schob ihre Hand unter seinem Arm
durch und streichelte seinen Bauch.
»Alle Männer sind Autisten«, sagte sie. »Aber du bist die große
Ausnahme, mein Schatz.«
Dank an
Dieter, Felix, Morten, Ronja, Thomas, Churry und Rita, Familie
Jasch, Anja Tomnitz, Stephan Tomnitz, Renate Bast-Christ, Peter Dittmer
(wir-in-laboe.de und Projektgruppe Rathaus-Archiv), Lars Riemenschneider
(Strandkorbvermietung Laboe) und Jan Steffen (Niederdeutsche Bühne Laboe).
Und meiner Muse für ihre Geduld und den starken Tee.
Dietmar Lykk
TOTENSAND
Küsten Krimi
ISBN 978-86358-002-5
»Lykk recherchiert ordentlich, seine Ortskenntnisse machen Spaß und er kennt seine Protagonisten genau. 'Totensand' ist ein kurzweiliger Krimi mit Ostseefernwehpotential.« Taz
»Ein genial durchdachtes Buch von einem großartigen Autor.« Der Nordschleswiger
Leseprobe zu Dietmar Lykk,
TOTENSAND
:
1. Tag
Kriminalhauptkommissar Lüthje wusste, dass Möwen nur dann
länger über Land flogen, wenn sie das Herannahen eines schweren Sturmes
spürten. Er hatte aber noch nie gehört, dass auch nur eine von ihnen unter dem
kathedralen Gewölbe des Hauptbahnhofs Kiel Schutz gesucht hätte. Er hatte diese
eine Möwe entdeckt, als er zur Bahnsteiguhr sehen wollte. Wenn sie denn
überhaupt Schutz gesucht hatte. Vielleicht suchte sie ja etwas ganz anderes.
Elegant umflog sie die Bogenpfeiler, den Blick dabei nach unten in das
Bahnhofsgewühl gerichtet, als suche sie einen Menschen. Möwen pflegten gern und
oft zu kreischen. Diese zog schweigend ihre Runden. Lüthje hatte den Eindruck,
dass er der Einzige war, der die Möwe im Bahnhof entdeckt hatte. Wer sah hier
schon nach oben.
Er lehnte sich seufzend in die Sitzpolster der Regionalbahn nach
Flensburg. Noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt. Er hätte Hilly lieber mit dem
Dienstwagen zum
Weitere Kostenlose Bücher