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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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Gesamtausgabe tauchen sie nicht auf. Einer der Mann-Erben soll sich da aufgeplustert haben und dann wird fast jeder Text schnell zum Mann-Text.«
    »Hat es denn Beweise gegeben?«, wollte ich wissen.
    »Nein. Aber der Verleger hat das Buch schnell zurückgezogen, es durfte nicht mehr verkauft werden. ›Des Teufels Fangnetz auf der Welt hat keinen anderen Nam’ als Geld‹. Das ist nicht von mir«, erklärte er süffisant, »das ist aus Hoffmannsthals ›Jedermann‹.«
    »Und wie hat der Autor das verkraftet?«, bohrte ich weiter.
    »Wohl nicht so gut«, meinte der Buchhändler und putzte seine Brille umständlich mit einem riesigen Taschentuch. »Der ist in der Klapsmühle. Ein armer Tropf, vielleicht wahnsinnig, ganz sicher talentiert. Ich kannte ihn flüchtig.«
    Bei seiner letzten Erklärung steckte ich das Buch ein. Jetzt wollte ich es mir erst recht nicht mehr entgehen lassen und immerhin hatte ich es nicht aus dem Giftschrank gezogen, sondern zwischen den verkäuflichen Schriften entdeckt. Wie zur Entschuldigung bemerkte ich kategorisch: »Ich will es lesen« und verließ den Laden, den günstig erworbenen Schatz in der Jackentasche eng an meinen Körper gepresst.
    Auch meine Kirchturmuhr hatte zwei geschlagen, ehe ich das Buch endlich weglegen konnte. Es hatte mich bis zur letzten Seite in seinen Bann gezogen, ein toller Text. Ein Plagiat? Das mochte ich nicht glauben. Dazu war der Text zu eigenwillig, zu einzigartig. Er war nicht einfach gut, er war anders. Was ist ein Plagiat? Seit dreitausend Jahren werden Texte geschrieben, viele sind uns erhalten geblieben. Ist nicht jeder Gedanke schon einmal gedacht worden, jede Redewendung nach jeweiligen modischen Strömungen bis zur Vervollkommnung entwickelt? Plagiat ist dämliches Abschreiben eines Unfähigen, ist Hochstapelei, ist der Einbruch in eine Bank des Geistes, ist das Bezahlen mit Falschgeld, das eher früher als später am fehlenden Wasserzeichen entlarvt wird. Preuls Texte hatten ihr unverkennbares Wasserzeichen. Und dieser Mann saß vergessen und vereinsamt in der Klapse? Ich musste ihn kennen lernen. Es gab für mich nur einen Weg zu Preul und der führte über den Antiquar. Mein Eindruck war ohnehin, dass der mir viel weniger erzählt hatte, als er wusste. Also legte ich meine dienstlichen Termine so, dass ich am frühen Nachmittag Feierabend machen konnte. Im journalistischen Beruf ist das kaum nachprüfbar. Wer kann schon genau wissen, wie lange Recherchen dauern und wie lange ich an einer Hundertzeilen-Story sitze?
    Der schäbige Gebrauchtbuchhandel führte auf seinem Firmenschild nur das Wort »Antiquariat«. Kein Name des Inhabers, der wieder über einem Päckchen Kreuzworträtsel saß und aus seinem Bleistift scheinbar ein besonders schwieriges Wort zu saugen suchte.
    »Guten Tag, Herr Schulze«, begrüßte ich ihn freundlich provozierend. Er schaute über die Brille und knurrte strafend. »Ich heiße Wilhelm Loss, das wissen hier alle. Kannst Willi zu mir sagen, wenn du für etwas Koks sorgen möchtest.« Diese Chance ergriff ich mit beiden Händen, rannte aus dem Laden zu einem Krämer an der Ecke und verlangte Rum. Der Krämer taxierte mich von oben bis unten und stellte dann eine Flasche auf den Tresen, auf der eine schwarze Schönheit abgebildet war. Dazu der Hinweis: »40 %. Echter Übersee-Rum.« »Ist der gut?«, wollte ich wissen. »Der ist gut, für Koks viel zu schade, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Ich verstand, zahlte und eilte zu Wilhelm Loss zurück, den ich nun Willi nennen durfte. Hoffentlich besaß der wenigstens noch einige Zuckerstücke, ansonsten würde man den Rum auch pur einführen können. Willi hatte seinen Stapel Kreuzworträtsel mit zwei Schnapsgläsern und einem Karton voller Zuckerstückchen gekrönt. Während er das Flaschenetikett studierte, schnalzte er wohlig mit der Zunge.
    »Junge, Junge, das hat es hier lange nicht gegeben, echten Rum. Weißt du, dass in Verschnitt nur fünf Prozent Rum sein muss? Das andere ist Monopolsprit aus billigem Weizen oder Kartoffeln.«
    Ich muss wohl etwas selbstgefällig gelächelt haben, denn missbilligend setzte Willi Loss seine Lehrstunde fort:
    »Nun werde mal nicht übermütig. In diesem muss auch nur 50 Prozent Rum sein. Der Rest ist dann dasselbe. Unser Körper ist eine wunderbare chemische Fabrik und ein großer Gleichmacher. Der macht in einer halben Stunde aus dem besten Sprit stinkende Pisse.«
    Willi schenkte ein und wir tranken schweigend. Ich schaute ihm

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